Wer ist schuld an der Rapportitis?
Kurz mal nachgedacht und husch, husch eingereicht: SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler verlangt in einer Motion, der Bundesrat solle veranlassen, «dass die Bürokratie in den Pflegeberufen massiv gesenkt wird». Nun ist unbestritten, dass das Gesundheitswesen zunehmend verbürokratisiert wird. Immer mehr neue Gesetze und Verordnungen führen dazu, dass der administrative Aufwand für Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, Praxis-, Spital- und Krankenversicherungsmitarbeitende zunimmt.
Zu Tode bürokratisiert?
Bürokratie ist unverzichtbar, doch es ist ein schmaler Grat zum Verwaltungsleerlauf. Wie viel Administration erträgt das Gesundheitswesen?
Viele dieser Regulierungen basieren auf Vorstössen von Politikerinnen und Politikern. Allein auf Bundesebene finden sich auf der Internetseite des Parlaments unter den Stichworten «Krankenversicherung» und «Gesundheitswesen» alljährlich Dutzende von Motionen, Postulaten und anderen Eingaben.
Genau dies reibt der Bundesrat einem Interpellanten unter die Nase: Der Entscheid, ob wettbewerbliche marktorientierte oder regulatorische Elemente ausgedehnt oder eingeschränkt werden, liege nicht beim Bundesrat, sondern beim Parlament. Es entscheidet ja, ob ein Gesetz nötig ist oder nicht. Daher ist es absurd, wenn Andrea Geissbühler vom Bundesrat verlangt, die vom Parlament ausgelöste Bürokratie teilweise ausser Kraft zu setzen.
«Mehr Markt zu fordern, gleichzeitig aber mehr Gesetze zu lancieren, geht nicht auf.»
Roman Seiler
Nun sind Politikerinnen und Politiker selbstredend nicht die Alleinschuldigen am sich im Gesundheitswesen ausbreitenden Kontrollwahn. Den fördern auch stetig steigende Anforderungen an die Compliance, also der Einhaltung aller Regeln im Bereich der Unternehmensführung. Sowie die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen mit Patienten, die sich falsch behandelt fühlen. Das führt unter anderem dazu, dass Ärzte ihre Behandlungen immer präziser dokumentieren – oder dokumentieren lassen.
Insgesamt gilt es, die ausufernde Rapportitis zumindest abzubremsen. Diese Aufgabe lässt sich nicht einfach an den Bundesrat delegieren. Bürgerliche Politikerinnen und Politiker können in ihren Sonntagspredigten nicht stets marktorientierte Lösungen fordern und in ihrer parlamentarischen Arbeit auf jedes noch so kleine Problem mit einem Gesetzesvorstoss reagieren. Doch die Chance, sich auf diese Weise zu profilieren, lassen sich insbesondere Populisten und Populistinnen nicht entgehen.