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Jörg Mäder und Kathrin Huber

Jörg Mäder, Kathrin Huber
Nachgefragt: Fachkräftemangel: Muss der Bund die Versorgungsplanung den Kantonen abnehmen?

Jörg Mäder, Nationalrat der Grünliberalen ZH und Mitglied der Gesundheitskommission (SGK)

Kathrin Huber, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK)

19. Oktober 2023

Pro

Die Spannweite in der medizinischen Versorgung ist enorm. Vom einfachen Schnupfen bis hin zur individualisierten Gentherapie gibt es alles. Die Aufgabe des Gesundheitssystems besteht darin, für diese beiden Anliegen und allen dazwischen adäquate Lösungen anzubieten. Am besten gemäss den WZW-Kriterien: wirksam, zweckmässig, wirtschaftlich.

Will man die drei Kriterien aufeinander abstimmen, braucht es Übersicht und Planung. Die Frage ist aber: Wer soll diese erarbeiten? Erst recht, wenn man den aktuellen Fachkräftemangel bedenkt oder die Versorgungsengpässe bei Medikamenten und Medizinalprodukten. Mit Blick auf die grosse Bandbreite ist aber klar, dass ein Schnupfen auf der Intensivstation des Inselspitals nichts verloren hat und für eine individualisierte Gentherapie internationale Zusammenarbeit zwingend notwendig ist. Es gibt keinen Dienstleister im Gesundheitswesen, der diese ganze Bandbreite allein abdecken kann oder auch sollte. Und genau das gleiche gilt auch für die Planung oder gar Steuerung des ganzen Systems. Es gibt keinen One-fits-all-Ansatz, welcher der Sache gerecht werden könnte.

«Wenn die landesweite Versorgung mit sechs oder weniger Standorten ausreichend ist, muss der Bund das Zepter in die Hand nehmen.»

Jörg Mäder

Wir müssen daher von unserer klassischen Trennung Bund versus Kanton wegkommen. Alltagsprobleme muss man lokal angehen, eine Darmspiegelung sollte man in der Region durchführen, für einen komplizierten neurochirurgischen Eingriff ist eine Reise quer durchs Land vertretbar und wird die Gentherapie gegen eine spezifische, seltene Krankheit in Amsterdam durchgeführt, dann ist das halt so. Entsprechend muss man aber auch die Planung machen. Denn die Häufigkeit einer Krankheit ist massgebend, wenn es darum geht, wie viele Anbieter es für eine angemessene Versorgung braucht. Sind es mehrere, sollten diese gut verteilt sein und nicht alle im Umkreis von zehn Kilometern liegen. Aber auch wenn es wenige braucht, ist Planung wichtig. Die Stichworte sind hier Pensionierung und Nachfolge.

Von daher ist der aktuelle Ansatz «Gesundheit ist Sache der Kantone» veraltet. Diese fixe Trennung ist nicht mehr zeitgemäss. Wenn die landesweite Versorgung mit sechs oder weniger Standorten ausreichend ist, muss der Bund das Zepter in die Hand nehmen. Sind mehr Standorte für die Versorgung ideal, soll er den Kantonen die Planung übergeben. Allenfalls sind auch regio­nale oder gar kommunale Ansätze wünschenswert.

Wenn der Bund mit diesem Ansatz auf die Kantone zugeht, sollten sich hoffentlich auch Türen öffnen. 

Contra

Die Kantone sind verantwortlich für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Sie stellen unter anderem ein ausreichendes Angebot an Spitälern, Pflegeheimen und Organisationen der Pflege zu Hause sicher. Das heisst aber mitnichten, dass jeder Kanton nur für sich schaut. Die Kantone sind durch das Bundesrecht zur Koordination verpflichtet. Bei der Spitalplanung geht ihr Blick also immer auch über die Kantonsgrenzen hinaus. Die Empfehlungen der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) sind dabei eine wichtige Orientierungshilfe. Auch wenn es keine gesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitsregionen gibt, sind die Beispiele interkantonaler Zusammenarbeit im Spitalbereich zahlreich. Und es kommen immer neue hinzu: Dieses Jahr haben etwa der Kanton St. Gallen und die beiden Appenzell bekannt gegeben, dass sie bei der Spitalplanung künftig zusammenspannen wollen.

Es gibt gute Gründe dafür, dass die Gesundheitsversorgung und die Spitalplanung nach wie vor dezentral organisiert sind. Die Spitäler sollten sich in das Netzwerk der Versorgung mit Hausarztpraxen, Spitex, Pflegeheimen und anderen Leistungserbringern integrieren. Die Kantone müssen das ganze Versorgungssystem im Auge behalten.

«Die Beispiele interkantonaler Zusammenarbeit im Spitalbereich sind zahlreich.»

Kathrin Huber

Zweifellos besteht bei der kantonsübergreifenden Zusammenarbeit aber noch Potenzial. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es Sinn macht, die spezialisierte Medizin zu konzentrieren – aus Gründen der Versorgungsqualität und mit Blick auf die steigenden Gesundheitskosten. Und auch, weil wir die knappen personellen Ressourcen möglichst effizient einsetzen müssen. Diese Konzentration sollte gemessen am Bedarf geplant und demokratisch abgestützt erfolgen. Und nicht durch finanzielles Ausbluten der Spitäler. Viele Spitäler sind derzeit mit dem Problem konfrontiert, dass die Tarife ihre Kosten nicht mehr decken. Die Regeln der Tarifermittlung müssen angepasst werden. Unter anderem sollte die Teuerung unmittelbar einbezogen werden können.

Fachkräftemangel, Unterfinanzierung, Nachholbedarf bei der Digitalisierung – das Gesundheitswesen ist mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Diese Herausforderungen beheben wir nicht, indem wir die Versorgungsverantwortung einfach auf die Bundesebene heben. Dass die Kantone – wo nötig – fähig sind zu einer gemeinsamen Planung, stellen sie bei der hochspezialisierten Medizin seit Jahren unter Beweis: Dort gibt es seit 2009 eine gesamtschweizerische, von allen Kantonen gemeinsam getragene Planung, die sich positiv entwickelt. 

Jörg Mäder

ist Nationalrat der Grünliberalen ZH und Mitglied der Gesundheitskommission (SGK). Zudem ist er seit 2010 Mitglied der Opfiker Exekutive. In dieser Funktion vertritt er die Interessen von Stadt und Bevölkerung im VR des Spitals Bülach, zweier Pflegeheime und dem lokalen Spitexverein.

Kathrin Huber

ist seit Oktober 2023 Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK). Die Soziologin mit Weiterbildung in Public Health und Management öffentlicher Institutionen ist seit 2009 bei der GDK tätig, ab 2017 bis zur Übernahme der Leitung war sie stellvertretende Generalsekretärin.

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