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Volkswirtschaftlicher Nutzen des Gesundheitswesens

Das volkswirtschaftliche Gewicht des Gesundheitssektors nimmt zu. Die Suche nach Effizienzpotenzialen wird künftig stärker im Zentrum stehen müssen. Eine gesundheitspolitische Herausforderung.

Dominik Hauri, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ressorts Arbeits­markt­analyse und Sozial­politik in der Direktion für Wirt­schafts­politik des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO).

17. Februar 2021

Die Entwicklung der Gesundheitskosten wird in der Schweiz seit Langem mit Sorge betrachtet. Bereits mit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) im Jahr 1996 war die Zielsetzung verknüpft, den als nicht nachhaltig finanzierbar empfundenen Kostenanstieg zu bremsen. Das ist bis heute nur ungenügend gelungen. Innerhalb der OECD ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt einzig in den USA höher als in der Schweiz. Dieser Anteil ist zudem zwischen 2010 und 2018 in kaum einem Industriestaat so stark gestiegen wie hierzulande: Seit dem Jahr 2000 von 9,4 Prozent auf rund 12 Prozent (2018: 11,9 Prozent).

Wie kommt es, dass die Gesundheitsausgaben trotz zahlreicher Bemühungen zur Dämpfung scheinbar ungebremst weiterwachsen? Ein Grund liegt offensichtlich darin, dass die Gesellschaft bereit ist, bei steigenden Einkommen einen überproportionalen Teil davon für die Gesundheitsversorgung auszugeben. Gerade in prosperierenden Volkswirtschaften ist die Zahlungsbereitschaft für neue und häufig teure Gesundheitstechnologien hoch. Daneben gibt es weitere plausible Erklärungsansätze für einen überproportionalen Anstieg der Gesundheitsausgaben relativ zum BIP, etwa die Tatsache, dass Gesundheitsleistungen häufig personalintensiv und eher schlecht automatisierbar sind oder, die Alterung der Gesellschaft.

Gesundheit macht sich bezahlt

Eine reine Fokussierung auf die Gesundheitsausgaben würde zu kurz greifen. Ein guter Gesundheitszustand der Bevölkerung hilft, krankheitsbedingte Produktivitätseinbussen und Absenzen zu vermeiden, und kann als eine Investition in die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gesehen werden. Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung muss deshalb auch die Nutzenkomponente berücksichtigt werden.

Die Messung des Nutzens von einzelnen Gesundheitsleistungen und ganzen Gesundheitssystemen ist ungleich anspruchsvoller als die Erfassung der Ausgaben. Die vorhandenen Indikatoren lassen im internationalen Vergleich aber nicht auf eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den Kosten und dem Nutzen des Schweizer Gesundheitssystems schliessen. So weisen beispielsweise Neugeborene in der Schweiz innerhalb der OECD die höchste Lebenserwartung auf. Zudem deuten Studien darauf hin, dass sich Schweizerinnen und Schweizer im internationalen Vergleich bis in ein hohes Alter guter Gesundheit erfreuen.

Beschäftigungsmotor Gesundheitswesen

Die hohen Gesundheitsausgaben spiegeln sich auch in den Beschäftigtenzahlen. So arbeiten in der Schweiz gut 630 000 Menschen (2. Quartal 2020, Anzahl Vollzeit- und Teilzeitstellen) im Gesundheitswesen (einschliesslich Heime), was 12,4 Prozent aller Beschäftigten entspricht. Dieser Anteil ist höher als jener des Finanz- und Versicherungssektors (4,6 Prozent) und des Bereichs Gastgewerbe/Hotellerie (4,6 Prozent) zusammen.

Seit dem Jahr 2000 wuchs die Zahl der Beschäftigten in der Ind­us­trie um 4,5 %.

Seit der Jahrtausendwende ist die Beschäftigung im Gesundheitswesen zudem um mehr als die Hälfte angestiegen (+60 Prozent). Selbst bei den «übrigen staatsnahen Dienstleistungen», das heisst in der Bildung, im Sozialwesen und in der öffentlichen Verwaltung, war der Beschäftigungsanstieg tiefer (+52,4 Prozent). Der Industriesektor wuchs im selben Zeitraum lediglich um 4,5 Prozent. Aus einer arbeitsmarktorientierten Betrachtung lässt sich der Beschäftigungsdynamik im Gesundheitswesen Positives abgewinnen: Der Gesundheitssektor bietet einer grossen Zahl von Arbeitskräften mit ganz unterschiedlichen Qualifikationsniveaus Beschäftigungsmöglichkeiten.

Seit dem Jahr 2000 ist die die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen um 60 % gestiegen.

Optimierungspotenzial vorhanden

Trotzdem sollte dem effizienten Mitteleinsatz im KVG-Bereich, der hauptsächlich über die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung und Steuergelder finanziert wird, eine erhöhte Priorität beigemessen werden. Eine im vergangenen Jahr publizierte Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) hat den Versuch unternommen, das bestehende Effizienzpotenzial zu schätzen, und kam dabei auf 16 bis 19 Prozent der KVG-pflichtigen Leistungen. Bezogen auf das Basisjahr 2016 beliefe sich das ermittelte Effizienzpotenzial somit auf ein Total von 7,1 bis 8,4 Milliarden Franken oder 855 bis 1012 Franken pro Kopf. Auch wenn es in der Realität nicht gelingen dürfte, das gesamte theoretische Potenzial auszuschöpfen, sind Anstrengungen in diese Richtung doch lohnenswert.

Im Gesundheitswesen werden sowohl Angebot als auch Nachfrage durch staatliche Eingriffe beeinflusst. Die institutionellen Anreize sind einem kosten­bewussten Verhalten der Akteure häufig nicht zuträglich. Aus Sicht des Einzelnen ist es rational, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen auszu­dehnen, um für die wachsenden obligatorischen Prämien einen Gegenwert zu erhalten. Gleichzeitig sind die Vergütungssysteme mehrheitlich so ausgestaltet, dass die Leistungserbringer von einer Nachfrageausweitung finanziell profitieren. Die Krankenversicherer ihrerseits wären in einem System des regulierten Wettbewerbs eigentlich dazu prädestiniert, sich aktiv für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis für ihre Kundschaft einzusetzen. Sie scheinen aber im Regelwerk des KVG nicht die erforderlichen Instrumente vorzufinden, um die Kostenentwicklung stärker beeinflussen zu können.

Ungelöste Preisfrage

Aus ökonomischer Sicht würde die «first-best»-Lösung darin bestehen, die vielfältigen Fehlanreize zu korrigieren, damit Angebot und Nachfrage den volkswirtschaftlichen Punkt des «optimalen Nutzens» erreichen könnten. In der Praxis ist diese Herausforderung aber komplex und mit Zielkonflikten verbunden. Zudem zeigt die Erfahrung der vergangenen zwanzig Jahre, dass wirksame Reformen politisch einen schweren Stand haben.

Der Reformstau ebnet den Weg für Lösungsvorschläge, die stark vom Status quo abweichen. So fordert z. B. die Kostenbremse-Initiative der CVP eine Kopplung der Pro-Kopf-Kosten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung an die schweizerische Gesamtwirtschaft und die durchschnittlichen Löhne. Der Bundesrat hat dieser Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt, gemäss dem Bund und Kantone künftig jährlich festlegen würden, wie stark die Kosten in den Leistungsbereichen wachsen dürfen.

Quellen / Links

Dominik Hauri

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ressorts Arbeits­markt­analyse und Sozial­politik in der Direktion für Wirt­schafts­politik des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO).

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