Transparenz bei Spitalrechnungen und Leistungen
Sonja Hasler: Sie haben beide eine Spitalzusatzversicherung wie 30 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer auch. Können Sie aufzählen, was Sie an Leistungen mehr bekommen als Grundversicherte?
Daniel Liedtke: Also im Detail muss ich das gar nicht genau wissen, denn ich habe mich für ein «Sorglos-Paket» entschieden. Den Mehrwert erlebe ich dann, wenn ich betroffen bin. Wenn mir etwas passiert, will ich, dass etwa mein Sportarzt, die Hirslanden-Healthline oder mein Spezialist mich optimal beraten und behandeln, und zwar ohne Limitationen. Ich will entlang des gesamten ambulanten und stationären Behandlungspfades bestimmen können und die Mehrleistungen wie aus einer Hand koordiniert haben. Das ist Freiheit und die nenne ich «Sorglos-Paket».
Wie ist das bei Ihnen, Herr Singh?
Sanjay Singh: Ich erkläre es an einem Beispiel. Ich habe im Familienumfeld bei einer Erkrankung erfahren, was der Mehrwert ist. Rascher Zugang, sehr erfahrene Ärzte, grosser Komfort, eine gute Nachbetreuung.
Die Zukunft der Zusatzversicherung
Das Umfeld der Krankenzusatzversicherungen ist im Wandel. Wie sollte eine Zusatzversicherung aussehen, damit sie transparenter den Mehrnutzen ausweist, die zusatzversicherten Leistungen klar von denen der Grundversicherung getrennt sind und den Patienten einen Mehrwert bringt?
Genau da knüpft die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA an. Sie hat Spitalrechnungen von Zusatzversicherten überprüft und Alarm geschlagen: Die Rechnungen seien intransparent, Leistungen würden doppelt verrechnet, es gebe unbegründete Honorare von Ärzten etc. Kurz: Die Rechnungen würden bis an die Grenze des Legalen frisiert. Was von diesen Vorwürfen, Daniel Liedtke, trifft auf die Spitäler der Hirslanden-Gruppe zu?
Daniel Liedtke: Man muss unterscheiden, was in den Medien steht und den wirklichen Fakten …
… mit Verlaub, das ist keine Erfindung der Medien, sondern der Bericht der FINMA.
Daniel Liedtke: Missbrauch muss bestraft werden. Bei uns gab es das auch schon, auch medial bekannte Fälle. Von den schweren Vorwürfen an die gesamte Branche können wir bei uns jedoch nichts identifizieren. Wir haben daher mit der FINMA das Gespräch gesucht. Und etwas ist mir wichtig: Die Abgrenzung zwischen Grund- und Zusatzversicherung ist im stationären Sektor nirgends genau definiert. Da sind wir gefordert. Wir beide, du Sanjay als Versicherer und ich als Leistungserbringer, haben da eine Bringschuld.
«Es darf nicht sein, dass wir die Verhandlungen auf dem Buckel der Patientinnen und Patienten austragen.»
Daniel Liedtke
Sanjay Singh, die Kritikpunkte der FINMA betreffen auch Sie. Warum haben Sie die Rechnungen von Spitälern und Ärzten nicht besser kontrolliert?
Sanjay Singh: Wir haben jahrelang intensiv an den Verträgen gearbeitet und auch die Rechnungskontrollen verstärkt. Dort, wo wir Missbrauch festgestellt haben, sind wir eingeschritten und haben auch unser Team, das sich für die Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch einsetzt, ausgebaut. Die neue Spitalfinanzierung, welche 2012 eingeführt wurde, hat zu einer gewissen Intransparenz geführt, gerade weil die Abgrenzung zwischen Grund- und Zusatzversicherung im stationären Bereich nirgends genau geregelt ist. So ist auch eine relativ grosse Bandbreite bei den Kosten entstanden. Und da müssen wir ansetzen. Es ist auch wichtig zu sagen, dass Privat- und Halbprivatversicherte eine hohe Zufriedenheit haben, wenn sie die Leistungen in Anspruch nehmen. Das sehen wir in allen Kundenumfragen.
Sanjay Singh, die Kritikpunkte der FINMA betreffen auch Sie. Warum haben Sie die Rechnungen von Spitälern und Ärzten nicht besser kontrolliert?
Sanjay Singh: Wir haben jahrelang intensiv an den Verträgen gearbeitet und auch die Rechnungskontrollen verstärkt. Dort, wo wir Missbrauch festgestellt haben, sind wir eingeschritten und haben auch unser Team, das sich für die Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch einsetzt, ausgebaut. Die neue Spitalfinanzierung, welche 2012 eingeführt wurde, hat zu einer gewissen Intransparenz geführt, gerade weil die Abgrenzung zwischen Grund- und Zusatzversicherung im stationären Bereich nirgends genau geregelt ist. So ist auch eine relativ grosse Bandbreite bei den Kosten entstanden. Und da müssen wir ansetzen. Es ist auch wichtig zu sagen, dass Privat- und Halbprivatversicherte eine hohe Zufriedenheit haben, wenn sie die Leistungen in Anspruch nehmen. Das sehen wir in allen Kundenumfragen.
Daniel Liedtke: Das ist das Gute an der Kritik der FINMA: Dass wir uns zusammensetzen und noch stärker diffrenzieren, wo der Mehrwert für Zusatzversicherte und die Abgrenzung zur Grundversicherung liegen. Aber es ist ja nicht nur eine Sache zwischen uns beiden. Es ist auch eine Frage an die Gesellschaft: Was können und wollen wir uns leisten in der Grundversicherung und ist die Gesellschaft überhaupt bereit, zu bezahlen, was sie aktuell bestellt? Wenn sich die Grundversicherung weg von der Grundidee einer qualitativ guten und bezahlbaren Medizin hin zu einem «Sorglos-Paket» entwickeln sollte, dann muss auch gesichert werden, dass dies alles bezahlt werden kann. Heute fordern wir immer mehr Leistungen im Bereich der Grundversicherung und sind nicht gewillt, die Tarife entsprechend zu erhöhen. So bewegen sich die Spitäler und das Gesundheitswesen auf einen finanziell ausweglosen Abgrund zu, bis hin zum Bankrott.
Sanjay Singh: Aber warum machen da fast alle Spitäler mit? Es gibt ja ein richtiges Wettrüsten nach oben, zum Beispiel mit Einzelzimmern für Grundversicherte. Das zeigen auch neuste Spitalbau-Projekte. So wird es immer schwieriger, den Mehrwert zu definieren.
Die FINMA fordert schnell Transparenz. Die CSS hat über 100 Verträge mit Leistungserbringern gekündigt, Sanjay Singh, wie laufen die Verhandlungen, z. B. mit der Hirslanden-Gruppe?
Sanjay Singh: Das sehen wir noch, wir sind mitten in den Verhandlungen. Wir haben die Verträge gekündigt, um auch ein Zeichen zu setzen. Es soll Bewegung in den Markt kommen. Unsere Aufgabe ist es, noch mehr Transparenz zu schaffen, attraktive Mehrleistungen zu versichern sowie Tarife und Preise zu überprüfen. Das braucht Zeit, wir können das nicht über Nacht bereinigen bei über 200 Spitälern und über 4000 selbstständigen Belegärzten. Und ja, da und dort kommen wir nur stockend voran.
«Unsere Aufgabe ist es, Transparenz zu schaffen und Mehrleistungen zu definieren.»
Sanjay Singh
Sie, Daniel Liedtke, haben viel Macht. Hirslanden ist der grösste Anbieter im Bereich der Spitalzusatzversicherungen. Ungefähr jeder fünfte Franken fliesst in eines Ihrer 17 Spitäler oder an einen von 2500 Partner-Ärzten. Was bedeuten die Verhandlungen für Sie?
Daniel Liedtke: Du sagst es richtig, Sanjay. Eure Kunden sind unsere potenziellen Patientinnen und Patienten. Darum geht es. Es kann und darf nicht sein, dass wir die Verhandlungen auf deren Buckel austragen. Es geht um Tarife, aber auch um Definitionen und Vertragslogik: Wie rechnet man etwa die Mehrleistungen selbstständiger Fachärzte ab? Es kann nicht sein, dass wir mit jedem von unseren rund 50 Versicherern ein komplett anderes Vertragskonstrukt pro Spital und Arzt haben. Das führt zu einer völligen Überforderung der Administration und erzeugt hohe Verwaltungskosten ohne Patientennutzen. Zudem haben wir neben der FINMA noch andere Behörden, etwa die Wettbewerbskommission, die Spitallisten der Kantone und die Auflagen der hoch spezialisierten Medizin. Wir müssen also eine Lösung finden, die im Vertragskonstrukt zwar standardisiert ist, aber jedem Spital und jedem Arzt einen gewissen Spielraum lässt beim Anbieten attraktiver Mehrleistungen zu entsprechenden Preisen. Schliesslich sind wir bei den Zusatzversicherungen im freien Markt tätig.
Die Knacknuss ist, den Mehrwert für einen Zusatzversicherten gegenüber dem eines Grundversicherten zu definieren. Der Vorwurf ist, dass heute den Tarifen keine echte Mehrleistung gegenübersteht. Was bekommt z. B. eine privatversicherte Frau, die am Knie operiert wird, mehr als eine grundversicherte Frau?
Daniel Liedtke: Ein gutes Beispiel. Es fängt schon früh an. Wenn ich ein Knieproblem habe, gehe ich zuerst zu meinem Sportmediziner …
Sanjay Singh: … (lacht) bei mir ist es genauso. Ich habe meine Spezialisten …
Daniel Liedtke: … und diese Wahlfreiheit ist bereits ein Mehrwert und kostet etwas. Der schickt mich zu einem Orthopäden. Und weil ich zum Beispiel eine innovative Ader habe, möchte ich, dass der Eingriff mit Roboterunterstützung gemacht wird. Auch wenn es der Arzt vielleicht genauso gut ohne moderne Technik könnte. Das ist ein Mehrwert, der per se so zwar nicht notwendig ist und daher von der Grundversicherung auch nicht bezahlt werden muss.
Sanjay Singh: Ich möchte als Zusatzversicherter beispielsweise auch wählen dürfen, welche Prothese von welchem Hersteller ich bekomme. Wenn ich grundversichert bin, dann kann ich das nicht.
Warum haben Sie den Mehrwert bis jetzt nicht so deutlich ausgewiesen und sich stattdessen dem Vorwurf der Intransparenz und Mauschelei ausgesetzt?
Daniel Liedtke: Eine nachvollziehbare, zu präzisierende Frage. Bei der expliziten Ausweisung der Mehrwerte müssen wir künftig stärker ansetzen. Da sind alle Parteien nun gefordert.
Sanjay Singh: Ich erwarte, dass die Spitäler ihr Produkteangebot viel klarer definieren und auch das Preisschild transparent mitliefern. Eigentlich müsste ich auf deiner Homepage sehen, was wieviel kostet. Wenn es uns jetzt nicht gelingt, transparent zu werden, du dein Angebot definierst und ich es in den Versicherungskatalog aufnehme, dann sagen viele Kunden: Ist mir egal, ich zahle es selbst. Unsere Konkurrenten sind nicht nur andere Versicherungen, sondern auch die Selbstzahlenden.
Nach der Kritik der FINMA gibt es Druck auf die Tarife und die Prämien. Zusatzversicherungen sind für Sie beide ein lukratives Geschäft. Was passiert, wenn es bei der «Milchkuh Zusatzversicherung» weniger Geld gibt?
Daniel Liedtke: Fakt ist: Mit Grundversicherten kann man im Spital kaum die laufenden Kosten decken. Gerade die Innovation wird über die Zusatzversicherung finanziert. Davon profitieren alle, auch Grundversicherte. Wenn man jetzt die Tarife reduziert, dann hat das Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitssystem, die Innovation wird kurzfristig und die Qualität mittelfristig leiden. Wenn der staatliche Spar- und Vereinheitlichungsdruck überbordet, verbessert das nicht die Effizienz, sondern baut Leistungen ab.
Sanjay Singh: Also ich glaube durchaus, dass es Sparpotenzial gibt, dass es eine gewisse Optimierung im heutigen Angebot braucht. Aber es dürfen auf keinen Fall Qualität und Innovation darunter leiden.
Wie sehen Sie die Zukunft der Zusatzversicherung? An welchen neuen Dienstleistungen tüfteln Sie?
Sanjay Singh: Wir müssen mehr Flexibilität in die Versicherungsprodukte bringen. Es sind Einsteigermodelle zu finden, die mitwachsen. Ein 30-Jähriger hat nicht die gleichen Bedürfnisse wie ein 60-Jähriger. Man soll nicht mehr so gefangen sein im Versicherungsvertrag und in den Leistungen wie heute.
Daniel Liedtke: Ja, wir müssen gemeinsam Lösungen suchen. Die Kundinnen und Kunden müssen sich freier zwischen den Zusatzversicherungsprodukten und auch zwischen den Versicherungen bewegen können. Wichtig ist auch, dass wir vernetzter denken: Wir stellen nicht mehr den einzelnen Eingriff in den Vordergrund, sondern den ganzen Weg eines Patienten, von der Prävention bis zur Heilung oder bis ans Lebensende. Diese umfassenden Angebote nennen wir zum Beispiel Hirslanden Prostate-Care oder Mamma-Care. Die Differenzierung der ärztlichen, pflegerischen, therapeutischen, organisatorischen und digitalen Services pro Angebot ist in etwa vergleichbar mit einer Flugreise von A nach B. Man kann Economy-, Business- oder First-Class wählen. Das Zusatzversicherungsprodukt soll dabei den Patientinnen und Patienten während des gesamten Wegs den Zugang zu den Mehrwerten gewährleisten und zudem einfach verständlich sein.
Sanjay Singh: Genau, und dann müssen wir die Kosten anschauen … (lacht). Wir beide sind gefordert, die aktuellen Probleme zu lösen und die Zukunft zu modellieren. Ihr müsst euer Business Model neu und transparent, wir unsere Produkte flexibler ausgestalten.
Daniel Liedtke: Und vor allem aufhören, uns auseinander zu dividieren und uns öffentlich zu bekämpfen. Schliesslich haben wir die gleiche Kundschaft.
Fotos: Daniel Brühlmann