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Mit Verhandlungs­geschick die Tarif­partner­schaft retten?

Die Verhandlungen für einen neuen TARMED befinden sich seit längerem in einer Sackgasse. Was es bräuchte, um eine Lösung für die Tarifpartnerschaft zu finden, wurde Ende Januar am gesundheitspolitischen Anlass der CSS in Bern diskutiert.

Roland Hügi, Kommunikationsberater und ehemaliger Co-Chef-Redaktor von "im dialog".

23. Mai 2018

Die Tarifpartnerschaft und die ihr zugrunde liegende Tarifautonomie werden immer wieder als unverzichtbare Elemente des schweizerischen Gesundheitssystems heraufbeschworen. Tatsächlich gibt das Krankenversicherungsgesetz (KVG) den Rahmen dazu: Tarife und Preise werden nach Artikel 43 Absatz 4 KVG grundsätzlich in Tarifverträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vereinbart. Was im Gesetz einfach und sachlogisch tönt, erweist sich in der Praxis teilweise als kaum umsetzbar. Aus diesem Grund hat das Parlament 2013 dem Bundesrat die subsidiäre Kompetenz erteilt, Anpassungen an der Tarifstruktur vorzunehmen, wenn sich diese als nicht mehr sachgerecht erweist und sich die Parteien nicht auf eine Revision einigen können.

Chancen für die Tarifpartnerschaft

Sand im TARMED-Getriebe

Gerade im grossen nationalen Tarifwerk, der Einzelleistungsstruktur zur Tarifierung ambulanter ärztlicher Leistungen – dem TARMED –, harzt es gewaltig. Ein konstruktiver Dialog unter den Tarifpartnern zur Weiterentwicklung des TARMED ist seit seiner Einführung 2004 weitgehend ausgeblieben. «Alle gegen einen», «Jeder misstraut jedem». Das sind bloss zwei von zahlreichen Titeln, die im vergangenen Sommer die Medienberichte rund um das Thema TARMED zierten. Wohl wurden am Vertragswerk in den vergangenen Jahren kleinere Retuschen angebracht. Aber substanzielle und dringend notwendige Anpassungen der Tarifstruktur sind an der Uneinigkeit der beteiligten Tarifpartner FMH, H+, curafutura, Santésuisse und MTK gescheitert. Und dies, obwohl der Revisionsbedarf von keiner Seite bestritten wird. Inwiefern Verhandlungen in einer – voraussichtlich – neuen Runde gelingen können, hängt in erster Linie davon ab, ob der monetäre Zielkonflikt gelöst wird und die Diskussionen effektiv auf Augenhöhe geführt werden. Beides war in der gescheiterten Verhandlungsrunde in den vergangenen Jahren ganz offensichtlich nicht der Fall.

«Für die FMH war nämlich stets klar, dass eine kostenneutrale Umsetzung der Besserstellung der Grundversorger, wie sie vom Bund einverlangt wurde, einer Quadratur des Kreises gleichkommt.»

Jürg Schlup

Die Botschaft des Sonderbotschafters

Deshalb zeigte die CSS an ihrem traditionellen gesundheitspolitischen Anlass vom Januar 2017 in Bern auf, wie eine erfolgreiche Verhandlungstaktik aussehen könnte. Mit Eduard Gnesa, Sonderbotschafter in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), konnte sie einen ausgewiesenen Verhandlungsprofi präsentieren. Gnesa war in den vergangenen Jahren massgeblich daran beteiligt, dass die Schweizer Migrationsaussenpolitik immer wieder Erfolge erzielen konnte, zum Beispiel bei der Rückführung abgewiesener Asylsuchender. Dass das Publikum am CSS-Anlass seine Ausführungen über Problemund Selbstanalysen, über Maximal- und Minimalziele sowie über rote Linien mit regem Interesse aufnahm, war kaum erstaunlich. Eingeladen waren nämlich unter anderem Vertreterinnen und Vertreter genau jener Gruppierungen, die sich bis 2016 nicht auf einen neuen TARMED einigen konnten.

Wenn Partner sich streiten

Doch wenn alles so vermeintlich einfach zu sein scheint, wie man aus dem Referat von Eduard Gnesa hätte heraushören können: Weshalb können sich dann Gruppierungen, die zudem Tarifpartner sind, nicht auf eine partnerschaftliche Lösung einigen? Zu dieser Frage kreuzten an der CSS-Veranstaltung Jürg Schlup, Präsident der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), sowie Philomena Colatrella, Vorsitzende der CSS-Konzernleitung, die Klingen. Auf den ersten Blick schienen da Positionen aufeinanderzutreffen, die so weit gar nicht auseinanderliegen. Beide waren sich nämlich einig, dass ein neuer Tarif letztlich vor allem gesetzeskonform, sachgerecht und betriebswirtschaftlich sein muss. Auch sei man sich durchaus nahegekommen, was die Struktur eines neuen TARMED anbelange. «In diesem Punkt haben wir im Verlaufe der Verhandlungen keineswegs aneinander vorbeidiskutiert», sagte FMH-Präsident Schlup. Damit hatte es sich aber auch schon, was die Gemeinsamkeiten betraf. «Denn», schob Jürg Schlup sogleich nach, «Gesetzeskonformität, Sachgerechtigkeit und Betriebswirtschaftlichkeit waren bloss eine der Zielsetzungen, mit denen die FMH in die Verhandlungen gestiegen war.» Eine weitere lautete: «Die Haus- und Kinderärzte müssen finanziell bessergestellt werden, jedoch nicht durch eine lineare Umverteilung zwischen Ärztegruppen.»

Ein grosser Graben

Genau an diesem Punkt tat sich an den TARMED-Verhandlungen denn auch der grosse Graben zwischen den Verhandlungspartnern auf. Nicht, dass die Besserstellung der Hausärzte grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre. Wohl aber die finanziellen Auswirkungen, die sich unter anderem durch diese Massnahme ergeben hätten und die letztlich massgebend waren für das Scheitern des neuen TARMED. «Für die FMH war nämlich stets klar, dass eine kostenneutrale Umsetzung der Besserstellung der Grundversorger, wie sie vom Bund einverlangt wurde, einer Quadratur des Kreises gleichkommt», so Schlup. Und hier habe er leider keinerlei Kompromissbereitschaft der beteiligten Tarifpartner gespürt. Ein Umstand, den Philomena Colatrella, welche die Sicht der Krankenversicherer vertrat, im Prinzip genau gleich sah – allerdings unter völlig anderen Vorzeichen: «Für uns war nämlich die Kostenneutralität die oberste Zielsetzung – und auch wir haben letztlich die Kompromissbereitschaft auch nicht ansatzweise erkennen können.» Beide beriefen sich in ihren Ausführungen auf die jeweiligen Anspruchsgruppen, die sie zu vertreten haben: Hier die 36 000 Ärztinnen und Ärzte, die von einem neuen Tarif logischerweise einen monetären Schritt nach vorne erwarteten. Dort die Millionen von Versicherten, deren bereits heute schon hohe Prämien mit einem teureren TARMED noch weiter in die Höhe geschnellt wären.

Auf jeden Fall zeigten diese Gesprächspassagen exemplarisch, in welchem Dilemma die einzelnen Gruppierungen verhandelten. Wohl forderten beide Pole Kompromissbereitschaft ein. Allerdings interpretierten die einen diese so, (finanzielle) Luft nach oben zu erhalten, für die anderen war ebenso klar, dass zwingend (finanzielle) Luft nach unten notwendig sei, um sich letztlich zu finden. Eine fatale Ausgangslage, bei der letztlich der Begriff «Kompromiss» zwischen den beiden Polen regelrecht zerrieben wurde.

Wie geht es nun weiter?

Da sich die Tarifpartner bis zum Oktober 2016 nicht auf eine gemeinsame Revision einigen konnten, reichten sie dem Bundesrat einzeln oder in kleinen Gruppen Verbesserungsvorschläge ein. Dieser kündigte im November 2016 an, seine subsidiäre Kompetenz wahrzunehmen und einen Tarif festzusetzen. «Ärzte warten gespannt auf Berset», vermeldete die «Berner Zeitung» Ende Februar 2017 – der Tarifeingriff wurde von allen Seiten mit Spannung erwartet. Am 22. März 2017 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zu seiner geplanten Verordnung. Gemäss Medienmitteilung sollen die Änderungen an der Tarifstruktur schon auf den 1. Januar 2018 in Kraft treten. Gesundheitsminister Alain Berset setzt mit dem Eingriff deutliche Signale: «Der Bund senkt die Ärztetarife», titelte die «Neue Zürcher Zeitung» am 23. März 2017. Mit den geplanten Massnahmen sollen Einsparungen von rund 700 Millionen Franken pro Jahr erzielt werden – insbesondere auf Kosten von Spezialärzten. Bis zum 21. Juni 2017 haben die Tarifpartner und weitere Kreise nun Zeit, sich zur Vorlage zu äussern. Die Medienberichterstattung verdeutlicht die Blockaden im Gesundheitswesen: Keinesfalls beurteilen alle Gruppierungen den Eingriff als positiv.

Tarifautonomie hat erste Priorität

So sang- und klanglos die Verhandlungen in der TARMED-Runde 2016 gescheitert sind, so einig waren sich Jürg Schlup und Philomena Colatrella in der Frage der Tarifautonomie. «Für die Schweiz ist sie der Königs weg», sagte Jürg Schlup. Alles andere sei schlecht. Ziel müsse es deshalb sein, im Rahmen der Tarifpartnerschaft, die im Gesetz explizit vorgesehen sei, möglichst vieles selber zu regeln und nicht staatlichen Tarifeingriffen zu überlassen. Mit dieser Forderung stiess er bei Philomena Colatrella auf offene Ohren. «Ich bin überzeugt, dass eine Tarifautonomie im vorliegenden Falle gelingen muss und auch kann», sagte sie. «Aber die Leitplanken müssen im Voraus klarer definiert sein. Nur wenn für alle beteiligten Parteien die Handlungsziele klar sind und die Zielanalyse sauber ausgeführt wird, können sich die Partner wieder an einen Tisch setzen.» Sie schloss so indirekt den Kreis zu Eduard Gnesa. Dieser nannte als zentrale Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen «eine klare und realistische Zielanalyse, eine starke gemeinsame Positionierung und transparente Kommunikation». Alles Punkte, an denen die TARMED-Partner in den kommenden Monaten feilen müssen, um sich letztlich zu einer partnerschaftlichen Lösung durchzuringen, welche diesen Namen auch wirklich verdient.

Roland Hügi

Roland Hügi ist Kommunikationsberater und ehemaliger Co-Chef-Redaktor von „im dialog“.

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