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Mit Globalbudgets in Richtung kantonale Einheitskassen

Globalbudgets auf Kantonsebene wären ein Fremdkörper im Gesundheitswesen. Sie würden die Versorgung ohne zusätzlichen Versichertennutzen bürokratisieren. Dort, wo sie angewendet werden (Genf, Waadt, Tessin), haben Globalbudgets zudem die Kosten nicht gesenkt.

Stefan Felder , Professor für Gesundheitsökonomie, Universität Basel

25. Oktober 2018

Die Expertenkommission des Eidgenössischen Departements des Innern empfiehlt in ihrem Gutachten vom Herbst 2017 eine Einführung von Globalbudgets zur Senkung der Kosten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Sie verweist auf die Kantone Genf, Waadt und Tessin, die damit gute Erfahrungen gemacht hätten. Machen wir die Probe aufs Exempel und betrachten die Entwicklung der akutstationären Erträge in diesen Kantonen im landesweiten Vergleich. Wir berücksichtigen dabei nebst der Vergütung über die DRG auch die gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL). Während die pauschalierte Vergütung pro Fall in den letzten drei Jahren landesweit praktisch konstant blieb, stieg sie in den drei empfohlenen Kantonen um zwischen 4,2 und 9,4 Prozent (vgl. Tabelle). Bei Berücksichtigung der GWL sieht es für den Kanton Genf bei der zeitlichen Entwicklung zwar gut aus, nicht aber bei der absoluten Höhe; Genf weist die höchsten akutstationären Kosten pro Fall auf. Die Waadt schneidet im landesweiten Vergleich sowohl in der Entwicklung wie absolut betrachtet schlecht ab. Oliver Peters, der ehemalige Vizedirektor im Bundesamt für Gesundheit und heutige stellvertretende Direktor der Universitätsklinik Lausanne, hat am Radio und in Vorträgen verbreitet, sein Kanton habe die Kostenentwicklung dank des Globalbudgets besser im Griff. Das ist, wie die Zahlen zeigen, nicht der Fall.

Weshalb sind Globalbudgets keine Lösung?

Gegen die Einführung von Globalbudgets sprechen mehrere Gründe. Zunächst sind die Kantone nach Art. 49a Abs. 2 verpflichtet, mindestens 55 Prozent der Abgeltung stationärer Leistungen zu übernehmen. Die Waadt kann nach aktueller Gesetzeslage nicht, wie behauptet wird, ihren Anteil aussetzen, wenn das Globalbudget erreicht wird. Dies wäre auch nicht im Sinne der Patienten, die damit Gefahr liefen, von den Spitälern auf eine Warteliste gesetzt oder gar abgewiesen zu werden. Mengenvereinbarungen mit gestaffelten Tarifen wären genauso wenig sinnvoll, weil dies ebenfalls die falschen Patienten treffen könnte. Vor allem aber haben die Kantone auch ohne Globalbudgets die Möglichkeit, die Kosten der stationären Versorgung zu senken, in dem sie die GWL reduzieren. Stattdessen treiben sie bei ihren Einrichtungen Strukturerhaltung und verhindern den Marktzugang von privaten Spitälern.

Für Globalbudgets im ambulanten Bereich fehlt den Kantonen schlicht und einfach die Voraussetzung. Arztrechnungen werden durch die Patienten gezahlt, die Kostenerstattung leistet der Versicherer. Die kantonalen FMH wären nicht in der Lage, individuelle Praxisbudgets festzulegen und zu überwachen, und der einzelne Versicherer kann es nicht, weil er nur einen Ausschnitt einer Praxis sieht. Vor allem aber sind ambulante Budgets nicht zielführend. Die Patienten könnten sich dabei nicht sicher sein, dass ihr Arzt noch ein Interesse hätte, sie zu behandeln, wenn dessen Budget ausgeschöpft wäre.

Akutstationäre Erträge pro Fall in Franken

20132016Änderung seit 2013
abs.
Änderung seit 2013
rel.
GenfDRG
GWL
Total
11’546
5’913
17’459
12’632
3’569
16’202
1’086
–2’344
–1’257
9,4 %
–39,6 %
–7,2 %
WaadtDRG
GWL
Total
9’773
3’724
13’498
10’179
4’722
14’901
406
998
1’404
4,2 %
26,8 %
10,4 %
TessinDRG
GWL
Total
9’021
379
9’400
9’810
113
9’923
789
–266
523
8,7 %
–70,1 %
5,6 %
SchweizDRG
GWL
Total
10’256
1’472
11’728
10’248
1’262
11’509
–8
–210
–218
–0,1 %
–14,3 %
–1,9 %
Anmerkung: Berücksichtigt werden alle Spitäler, welche Pflegetage im akutstationären Bereich erbracht haben, und sämtliche Geburtshäuser. Die Tarife beinhalten die effektiv gezahlten OKP-Tarife (inkl. Kantonsanteil) für grund- und zusatzversicherte Patienten. Fehlerhafte Daten aufgrund einer falschen Kontierung wurden nach Möglichkeit korrigiert.
Quelle: Kennziffern der Schweizer Spitäler 2013–2016; eigene Berechnungen

Abschaffung des Kontrahierungszwang anstatt Globalbudgets

Der Vorschlag zur breiten Einführung von Globalbudgets kommt aus der Westschweiz. In den Kantonen Waadt und Genf werden gleichzeitig Volksinitiativen zur Einführung einer Einheitskasse vorbereitet, nachdem man auf nationaler Ebene damit gescheitert ist. Richtig ist: Mit einer Einheitskasse wäre der Durchgriff auf die stationären und ambulanten Leistungserbringer viel einfacher. Man wird den Verdacht nicht los, dass mit Globalbudgets und Experimentierklausel versucht wird, das Terrain für kantonale Einheitskassen zu ebnen.

Einheitskassen widersprächen der DNA des schweizerischen Krankenversicherungssystems mit Wettbewerb der Versicherer und Kombination von gesetzlicher Grund- und privater Zusatzversicherung aus einer Hand. Statt sich in Richtung Einheitskasse zu begeben, sollte man die Versicherer in die Pflicht nehmen, ihre Verträge mit den Leistungserbringern so zu gestalten, dass Qualität und Preis stimmen. Dazu braucht es jedoch die Abschaffung des Kontrahierungszwanges. Davon will die Expertenkommission aber nichts wissen. Zwar hält sie wenigstens einen differenzierten Kontrahierungszwang für denkbar, räumt ihm aber keine Priorität ein. Die Experten vertrauen lieber auf das «Top-down»-Instrument der Globalbudgets. Damit zeigen sie nicht nur, wessen Geistes Kind sie sind, sondern offenbaren, dass sie die systemischen Verhältnisse in der Schweiz nicht kennen oder nicht akzeptieren.

Stefan Felder

Stefan Felder ist Ordinarius für Gesundheitsökonomie und Inhaber der Stiftungsprofessur «Health Economics» an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel sowie Mitglied im Expertenrat SwissMedical Board.

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