css.ch

Gesundheitswesen überdenken in Corona-Zeiten

Bea M. Stadler: Es ist also der Moment gekommen, in dem die Krankenkassen ihr eigenes System überdenken müssen.

Beda M. Stadler, ist emeritierter Professor und war Direktor des Instituts für Immunologie an der Universitat Bern.

26. Juni 2020

Diese Kolumne entstand am 19. März 2020: Die Coronavirus-Fallzahlen steigen, die medizinische Versorgung muss durch das Militär unterstützt werden – da wäre es ein Witz, noch über integrierte Versorgung nachzudenken.

Integrierte Versorgung – wie weiter?

Im Moment geht es darum, für die Schweiz den totalen Shutdown zu verkünden oder eine intelligentere Lösung zu finden. Was auch immer passiert, der Kollateralschaden wird so gross sein, dass einige grundsätzliche Fragen im Gesundheitssystem neu gestellt werden müssen. War es richtig, den Spardruck dermassen zu erhöhen, dass die meisten Spitäler jetzt wahrscheinlich zu wenig Betten zur Verfügung haben werden? Müssen wir in Zukunft also von einem Gesundheitssystem ausgehen, das beträchtliche Reserven bereitstellen muss?

Da Paracetamol jetzt zur Mangelware werden könnte, frage ich mich, wie viele andere Medikamente, die in der Grundversorgung essenziell sind, unsere Pharmaindustrie in Billigländer ausgelagert hat, um den Profit zu erhöhen? Für uns sind die Preise ja gleichgeblieben, unabhängig von den Produktionskosten. Müssen wir fortan also gar bei dieser Art von Medikamenten eine Selbstversorgungsstrategie anpeilen? Seit zwei Tagen werden die ersten Impfstoffe in der klinischen Phase I in Amerika getestet. Das weckt Erinnerungen: Auch die Schweiz hatte einst eine Impfstoffproduktion, die aber eine staatliche Unterstützung gebraucht hätte, um weiter zu existieren. Jetzt können wir lediglich warten, bis es einen Überschuss an Impfstoff gibt, damit wir auch welchen kriegen.

«Es ist also der Moment gekommen, in dem die Krankenkassen ihr eigenes System überdenken müssen.»

Beda M. Stadler

Hoffentlich realisieren die Gesundheitskassen möglichst bald, dass sie zurück zum alten System müssen, als sie noch Krankenkassen waren. Bei den vielen Konkursen und Arbeitslosen, die in nächster Zeit zu erwarten sind, werden die Prämienzahlungen sicher massiv abnehmen. Der Staat schiesst überall Geld ein, aber das sind ja eigentlich Steuereinnahmen – also müssen wir das wieder bezahlen. Am lautesten schreien derzeit Organisationen wie etwa die Swiss, für die der Staat schon einmal zu viel Geld hingelegt hat. Es ist also der Moment gekommen, in dem die Krankenkassen ihr eigenes System überdenken müssen und den Schaden hoffentlich nicht einfach durch Prämienerhöhungen ausbügeln wollen. Auch wenn es nur wenig bringen würde: Es wäre ein Anfang, jetzt den ganzen Alternativzauber und die Wellness subito aus den Krankenkassen rauszuwerfen – im Sinne von «Jeder Rappen zählt».

Natürlich weiss ich auch nicht, wie alles herauskommen wird. Es dauert aber noch dermassen lange, bis diese Kolumne erscheint, dass ich gerne als Schwarzmaler bezeichnet werde, sollte der Kollateralschaden durch dieses Virus sich als harmlos herausstellen.

Beda M. Stadler

geboren 1950 in Visp (VS), ist emeritierter Professor und war Direktor des Instituts für Immunologie an der Universität Bern. Er ist bekannt für seine bissigen Aussagen zu medizinischen sowie gesundheits- und gesellschaftspolitischen Themen.

©2024 CSS