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Gesundheitskosten: Niemand übernimmt Verantwortung

Beda M. Stadler, ist emeritierter Professor und war Direktor des Instituts für Immunologie an der Universitat Bern.

12. Juni 2018

Es spielt eigentlich keine Rolle, ob das Zitat: «Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!», wirklich von Bertolt Brecht stammt. Wichtig ist, dass sich jeder vorstellen kann, dass dies das Ende des Kriegs bedeuten könnte. Genauso verhält es sich mit der Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Alle Beteiligten wissen nämlich, dass das Problem bei den Leistungserbringern selber, bei der Art der Leistung und bei den Kosten der Leistung liegt, wobei man gerne auch dem Patienten Schuld gibt. Die anderen sollen sich anders verhalten. Weil das niemand tut, ziehen am Schluss eben doch wieder alle in den Krieg. Die Kosten steigen weiter.

Die Suche nach Kostenbremsen

Da der Gesunde entweder mit seinem Verhalten oder an der Urne jegliche Kostendämpfung bislang zunichtegemacht hat, sollte jemand den Mut haben, endlich Klartext zu reden. Diesen «Jemand» scheint es aber nicht zu geben. Niemand wagt es nämlich zu sagen, ab wann ein Mensch krank ist und Solidarität verdient. Jedermann ist hingegen bereit, die Grenze zwischen krank und gesund verschwimmen zu lassen, indem etwa behauptet wird, Alternativmedizin sei wirksam, Wellness sei heilsam, und nützt es nichts, so schadet es nicht.

«Niemand wagt es zu sagen, ab wann ein Mensch krank ist und Solidarität verdient.»

Beda M. Stadler

Zwischen den Zeilen kann man zum Beispiel in «Gesundheit2020 » von der WHO oder vom BAG genauestens nachlesen, was zu tun wäre. Politisch korrekt formuliert steht da, dass man nicht in den Krieg ziehen sollte und wie man dem Kostenanstieg beikommen will. Das kommt mir vor wie Pfarrherren in Uniform, die von der Kanzel Frieden predigen. Allerdings hat nicht nur der Staat Leichen im Keller, sondern alle am Gesundheitssystem Beteiligten. Somit gibt es schlichtweg niemanden, der genügend Glaubwürdigkeit hätte, um ein Rezept für die Kostendämpfung im Gesundheitssystem anzuordnen. «Gesundheit2020 » wird also scheitern, das wissen wir bereits jetzt.

Das Rezept muss demnach «Krankheit2020» heissen. Die Meinung der Gesunden zur Gesundheit ist irrelevant, wir betrachten fortan nur noch die Fakten der Krankheit. Wir schaffen das Gesundheitssystem ab und ersetzen es durch ein Krankheitssystem. In diesem System geht es in erster Linie um Solidarität, und jeder Gesunde, der daraus etwas für seine Gesundheit abzwackt, macht sich strafbar. Das Recht auf Gesundheit bedeutet nämlich nicht, dass man gleich viel aus der Krankenversicherung herausholt, wie man bereits eingezahlt hat. Im Klartext sollte man «Gesundheit2020» als «Grounding2020» bezeichnen, damit niemand sagen kann, er habe es nicht gewusst, sonst wäre er nicht hingegangen.

Beda M. Stadler

geboren 1950 in Visp (VS), ist emeritierter Professor und war Direktor des Instituts für Immunologie an der Universität Bern. Er ist bekannt für seine bissigen Aussagen zu medizinischen sowie gesundheits- und gesellschaftspolitischen Themen.

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