Ein unübersehbarer Fussabdruck
Die Herrschaft der Verwaltung (Bürokratie) war bei Entstehung des Begriffs durchaus positiv gemeint: ein auf Rationalität, Verlässlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Effizienz abgestütztes Staatswesen. Die Bürokratietheorie stellt die Beziehungen von Prinzipal und Agent, also Auftraggeber und Auftragnehmer, ins Zentrum. Eine solche Beziehung besteht zwischen Wählern und Regierung sowie zwischen Regierung und Verwaltung. Die Beziehungen sind charakterisiert durch den Informationsvorsprung des Agenten gegenüber seinem Auftraggeber. Nur der Agent weiss im Detail Bescheid über die wahren Kosten, Qualität, Gewissenhaftigkeit und Effizienz, mit der er seine Aufgaben ausführt. Der Prinzipal tappt im Dunkeln.
Der Agent kann seinen Wissensvorsprung zur Erfüllung eigener Ziele ausnutzen. So kann ein Chefbürokrat – etwa der Leiter eines Amtes – versuchen, der Regierung das grösstmögliche Budget abzuringen und Einfluss oder Prestige zu maximieren. Das Ziel kann wahlweise auch in der Schaffung eines komfortablen Arbeitsalltags, also der Maximierung des Schlendrians, bestehen.
Zu Tode bürokratisiert?
Bürokratie ist unverzichtbar, doch es ist ein schmaler Grat zum Verwaltungsleerlauf. Wie viel Administration erträgt das Gesundheitswesen?
Die Regierung ist sich der Informationsasymmetrie und der damit verbundenen Problematik durchaus bewusst. Mit Massnahmen wie standardisierten Rechnungslegungsvorschriften, Globalbudget und Leistungsaufträgen versucht sie, der Bürokratie Herr zu werden. Die Kosten durch exzessive Budgets, Ineffizienz und Fehlplanung sind allerdings gegenüber den Kosten durch Kontrollmechanismen abzuwägen. Ausserdem besteht die Gefahr, dass Kosten aus dem staatlichen Haushalt verschwinden, indem sie als Regulierungsfolgekosten den Bürgern und Unternehmen aufgebürdet werden.
Wettbewerb diszipliniert
Zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sowie Geschäftsleitung und Mitarbeitenden privater Unternehmen bestehen ebenso Prinzipal-Agenten-Beziehungen. Nur gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Rahmenbedingungen, unter denen private Unternehmen und der Staat operieren. Für private Unternehmen erzeugt der Wettbewerb Preissignale und Statistiken zu Absatzzahlen und Marktentwicklungen, welche laufend zur Optimierung des Produktionsprozesses und des Angebots genutzt werden können. Zudem schafft der Wettbewerb den Anreiz, die vorhandenen Informationen tatsächlich zu nutzen, sofern ein Unternehmen konkurrenzfähig bleiben will.
«Die gängigen Statistiken geben den staatlichen Fussabdruck nur ungenügend wieder.»
Marco Portmann
Beim Staat fehlen die positiven Eigenschaften des Wettbewerbs zumeist. Oft ist der Staat Alleinanbieter von Gütern und Dienstleistungen; auch staatsnahe Unternehmen sind häufig in Branchen mit eingeschränktem Wettbewerb tätig. Selbst wenn der Staat nur regulatorisch in Märkte eingreift, kann er das Preisgefüge so stark durcheinanderwirbeln, dass die bürokratiehemmende Wirkung des Wettbewerbs verpufft.
Tücken bei der Messung
Die gängigen Statistiken attestieren der Schweiz einen geringen staatlichen Fussabdruck. Gemessen am (grossen) BIP gibt die Schweiz wenig für die Verwaltung und den Staat insgesamt aus. Betrachtet man die Staatsausgaben und spezifischer die Verwaltungsausgaben in Franken pro Kopf, liegt die Schweiz im europäischen Mittelfeld (siehe Grafik). Gerade das Gesundheitswesen illustriert vortrefflich einen weiteren Fallstrick bei der Messung des staatlichen Fussabdrucks. Weder die Angestellten der privaten Akteure noch jene der zahlreichen öffentlichen Unternehmen und Anstalten im Gesundheitswesen sind in den abgebildeten Schweizer Zahlen enthalten, während sie dies in anderen Ländern sind. Dabei wird kaum jemand die bedeutende Rolle des Staates als Regulator, Finanzierer und Eigentümer im Gesundheitswesen negieren wollen.
Sowohl für den Bund als auch für die Kantone ist für die letzten Jahrzehnte eine stetige Zunahme der Regulierungsaktivität, gemessen in Erlassen pro Jahr, zu verzeichnen. Das Wachstum der Beschäftigung im öffentlichen Sektor und der Regulierungsaktivität dürften den zuweilen aufkommenden Eindruck der zunehmenden Bürokratisierung prägen. Ob es sich dabei um eine zunehmende Über-Regulierung handelt, ist dennoch schwer zu beurteilen. Dafür müssten sowohl Nutzen als auch die Kosten, die den Unternehmen und natürlichen Personen aufgrund der Regulierungen entstehen, systematisch erhoben werden.
Staatliche Personalausgaben im Jahr 2019
Pro Kopf und in Prozent des BIP (Quellen: Eurostat, IWP)
Weniger Bürokratie: nur wie?
Einfache Lösungen zur Reduzierung «unnötiger» Bürokratie gibt es nicht. Vier Erfolg versprechende Ansatzpunkte werden jedoch abschliessend skizziert.
- Die Transparenz und Messbarkeit des staatlichen Handelns müssen weiter erhöht werden. Die heute gängigen Statistiken geben in vielerlei Hinsicht den staatlichen Fussabdruck nur ungenügend wieder.
- Eine Stärkung des politischen Wettbewerbs um innovative Lösungen ist nötig. Dazu gehören der Erhalt und die Stärkung der direkten Demokratie und des Föderalismus. Gleichzeitig könnten die heutigen Konsultationsverfahren, bundesinternen Regulierungsfolgenabschätzungen und Aufsichtskontrollen von mehr wettbewerblichen Elementen profitieren. Die Ökonomen Reiner Eichenberger und Mark Schelker schlagen zu diesem Zweck die Schaffung von volksgewählten Gegenvorschlagskommissionen vor.
- Effizienzgewinne durch Digitalisierung werden in der Schweiz nur teilweise realisiert. Oft wird Verwaltungswachstum mit der Digitalisierung begründet und der Föderalismus als Digitalisierungsbremse gebrandmarkt. Beide Argumente sind bei genauerer Analyse nicht stichhaltig.
- Es braucht einen fundierten gesellschaftlichen Diskurs, welche Aufgaben der Staat in welcher Form wahrnehmen soll. Vorbedingung ist die erwähnte Transparenz und Messbarkeit. Nicht selten sind es wir Bürgerinnen und Bürger selbst, die sich nicht bewusst sind, dass die Bürokratie die Kehrseite der zuweilen gelebten und geforderten Vollkasko-Mentalität ist. Zugleich gilt es darauf hinzuwirken, dass selbst wenn staatliche Einflussnahme gesellschaftlich gewünscht ist, diese minimalinvasiv ausgestaltet wird. CO2-Zertifikatehandel statt Subventionen und Verbote, Betreuungsgutscheine statt staatliche Kinderkrippen, Subjekt- statt Objektfinanzierung auch im Gesundheitswesen – Beispiele gibt es viele. Der Erhalt wettbewerblicher Mechanismen senkt das Risiko für Bürokratie und fördert staatliches Handeln im Einklang mit den Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger.