«Die Ressourcen müssen neu verteilt werden»
Das Ja zur Pflegeinitiative hat die Anerkennung und Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber der Pflege deutlich zum Ausdruck gebracht. Bei der Frage, unter welchen Rahmenbedingungen Pflege ausgeübt werden soll, sind die Meinungen allerdings geteilt. Aktuell sehen wir ein schwindendes Interesse für den Pflegeberuf und viele Berufsausstiege. Die Zahl der Berufsein- und -aussteigenden hält sich nicht die Waage. Das verschärft die Situation im Berufsalltag zusätzlich, weil die Verantwortung und Arbeitslast auf weniger Schultern verteilt werden müssen. Kann die Care-Arbeit nicht mehr nach den Standards der Profession und mit genügend Zeit ausgeführt werden, sinkt die Qualität der Pflege und löst bei Pflegenden moralischen Stress und Unzufriedenheit aus. Studien im In- und Ausland bestätigen, dass zu wenig verfügbare Pflegefachpersonen pro Patienten die Patientensicherheit gefährden. Der Faktor Zeit hat viele Dimensionen, wird aber immer in irgendeiner Form genannt, wenn nach den Gründen für einen Berufsausstieg gefragt wird: hohe Arbeitsbelastung, zu wenig Zeit für die Patientinnen und Patienten, Stress und die fehlende Erholungszeit.
Der Fachkräftemangel gefährdet das System
Im Gesundheitswesen wird vor allem über Finanzen diskutiert. Aber in Zukunft wird der Mensch die knappste Ressource sein.
Es braucht jetzt verbindliche Vorgaben
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müssen einerseits mehr Pflegende ausgebildet und andererseits die ausgebildeten im Beruf gehalten werden. Es ist aber wenig wirkungsvoll, lediglich mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, ohne die Arbeitsumgebungsqualität zu verbessern.
Der demografische Wandel und der zunehmende Pflegebedarf zwingen uns zeitnah zum Umdenken. Die Lücke der Babyboomer-Abgänge aus dem Berufsleben muss gefüllt und frühzeitige Berufsaustritte müssen gestoppt werden. Im direkten Arbeitsumfeld bedeutet dies eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sowie die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung der Kompetenzen. Dem SBK reichen Empfehlungen nicht mehr. Es braucht jetzt verbindliche Vorgaben für eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Das zweite Paket der Pflegeinitiative setzt genau da an. Politik, Arbeitgeber und Versicherer tun sich aber schwer mit der Umsetzung. Die Forderung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist von Interessenkonflikten der Stakeholder geprägt, da sie die heute gelebten Kompetenzbereiche und Strukturen tangieren.
Ressourcenverteilung neu verhandeln
Fakt ist: Wir brauchen mehr und anders eingesetztes Personal. Personal darf aber nicht im Ausland rekrutiert werden, aus Sicht des SBK ist dies unethisch. Auch die Schweiz hat den Verhaltenskodex der WHO für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften verabschiedet. Für die Patientensicherheit ist es zudem nicht vertretbar, die Lücken mit weniger qualifiziertem Personal zu schliessen.
Für die Pflege der Zukunft muss die Verteilung der finanziellen und personellen Ressourcen also neu verhandelt werden. Die Mittel im Gesundheitswesen sind begrenzt. Deshalb braucht es eine breite Diskussion darüber, welche Leistungen wir mit welchen Finanzströmen finanzieren möchten, und ausserdem Anpassungen im Tarifsystem. In die Grundversorgung, die Prävention und die Versorgung von vulnerablen Bevölkerungsgruppen – insbesondere in der Langzeitpflege – sollte verstärkt investiert werden. Das anzustrebende Resultat: eine breit abgestützte, gute Grundversorgung mit neuer Kompetenzverteilung sowie konzentrierter, spezialisierter Medizin und Pflege.
«Das Ziel: Eine breit abgestützte, gute Grundversorgung mit neuer Kompetenzverteilung sowie konzentrierter, spezialisierter Medizin und Pflege.»
Miriam Rittmann
Wir werden es aber trotz aller Massnahmen nicht schaffen, den Fachkräftemangel zu beheben, wenn wir den Beruf nicht attraktiver machen. Der SBK fordert neue Anreize und Versorgungsmodelle wie Nurse Led Care und eine interprofessionelle integrierte Versorgung, verbesserte Prozesse mit dem gezielten Einsatz neuer Technologien (z. B. einem praxisrelevanten EPD) und eine kostendeckende Finanzierung der ambulanten und stationären Pflege. Wird Pflege attraktiver, kommt bereits ausgebildetes Personal wieder in den Beruf zurück und das Interesse der Neu- und Quereinsteigenden steigt.
Fazit
Diese Massnahmen sind weder standespolitisch motiviert noch parteipolitisch gefärbt. Sie haben allein das Ziel, die Patientenversorgung auch in Zukunft sicherzustellen. Bund, Kantone, Versicherer und Leistungserbringer müssen unter Einbezug der Sozialpartner nach Lösungen für die Versorgungsprobleme im Gesundheitswesen suchen. Es erfordert eine enge Zusammenarbeit, politisches Engagement und vor allem den Willen, die Situation in der Pflege zu verbessern.