Das Pferd am Schwanz aufzäumen
Gentechnisch hergestellte Antikörper machen die Mehrheit der 2018 meistverkauften Medikamente aus. Ihr Umsatz betrug mehr als 100 Milliarden Franken, und sie werden dieses Jahr noch mehr einbringen. Spitzenreiter ist Humira, ein Antikörper, der bei Rheuma und anderen Autoimmunerkrankungen erfolgreich eingesetzt wird. Dieser Antikörper alleine machte einen Umsatz von 20,4 Milliarden Franken. Kein Wunder, denn in der Schweiz beträgt der Fabrikpreis einer Spritze zu 40 mg etwa 700 Franken, im Euro-Raum rund 15 Prozent weniger.
Die Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall
Die Art. 71a–71d KVV sollen Lösungen ermöglichen. Nämlich, dass die Krankenversicherer in Ausnahmefällen entsprechende Medikamente vergüten können. Diese ursprünglich sinnvolle und pragmatische Regelung ist aus dem Ruder gelaufen. Wie weiter?
Als Wissenschaftler, der damals bei der Genschutz-Initiative auf die Strasse ging, freue ich mich über den Erfolg von vielen gentechnisch hergestellten Medikamenten, die oft einen echten Durchbruch für die Therapie darstellen. Ich schäme mich heute aber für die masslose Gier, die im Zusammenhang mit rekombinanten Medikamenten entstanden ist. Selbst jetzt, da die Patente fallen und Biosimilars – also Generika – auf dem Markt sind, sinken die Preise kaum. Jeder will ein gleich grosses Stück des bestehenden Kuchens, wobei der «Kuchen» meist schwer kranke Menschen sind. Die Produktionskosten stehen in keinerlei Verhältnis zum Verkaufspreis. Schaut man sich die Pipeline an, in der weitere Antikörper und andere rekombinante Eiweisse auf den «Gesundheitsmarkt» drängen, sollte jedem klar werden, dass die derzeitigen Margen der Pharmafirmen zum Kollaps unseres Gesundheitssystems führen werden.
«Die Produktionskosten von Medikamenten stehen in keinerlei Verhältnis zum Verkaufspreis.»
Beda M. Stadler
Jetzt über die Art. 71a–71d KVV zu diskutieren und den Off-Label-Use von Medikamenten anzuprangern, bedeutet, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Kliniker können heute keine Medikamente mehr entwickeln; das ist längst zu teuer geworden, doch der Off-Label-Use erlaubt es, manchmal eine neue Behandlung zu etablieren. Gerade für Onkologen sind Versuche mit ähnlichen rekombinanten Antikörpern manchmal essenziell und können beim Einzelpatienten zum Erfolg führen. In einer Statistik wird das jedoch kaum sichtbar. Der Preis eines Medikaments ist das Problem und nicht seine anderweitige Anwendung.
Es geht also um die Frage, wie teuer ein Medikament sein darf. Hier bräuchten wir einen ethischen Kodex, welcher national und hoffentlich auch international etabliert wird. Da bei uns die Medikamentenpreise besonders hoch sind, sollte der Staat etwas Druck machen und zum Beispiel als Grauimporteur für Medikamente auftreten. Swissmedic könnte das übernehmen und die Neuzulassungen sistieren, bis wir Preise wie im Ausland haben.