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Barbara Gysi und Josef Dittli

Nationalrätin Barbara Gysi, Ständerat Josef Dittli
Nachgefragt: Braucht es zur Behebung des Medikamenten­mangels eine stärkere staatliche Regulierung?

Barbara Gysi, Nationalrätin (SP, SG)

Josef Dittli, Ständerat (FDP, UR)

15. Februar 2024

Pro: Barbara Gysi

Die Liste der nicht verfügbaren Medikamente und Wirkstoffe wird länger und länger. Die Ursachen für den Medikamentenmangel sind vielschichtig. Die Produktion vieler gängiger Präparate oder der Ausgangssubstanzen wurde ins ferne Ausland verlagert. Die Grosspharma konzentriert sich stattdessen auf die Entwicklung neuer, hochpreisiger Medikamente und lobbyiert für deren Zulassung und Vergütung. Das Problem betrifft nicht nur die Schweiz, sondern auch die EU. Diese will mit einem solidarischen Vorgehen die Lage entschärfen. Ob die Schweiz hier mitmachen kann, ist offen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schweiz ein kleiner Markt mit eigenen Vorgaben für die Medikamentenzulassungen, -verpackungen und -informationen ist. Zwar verfügen wir gemäss dem Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung über das Instrument der Pflichtlager. Doch müsste dieses dringend um weitere Wirkstoffe erweitert werden.

Doch auch die grosse Verschwendung von Medikamenten trägt zur Verknappung der Wirkstoffe bei. Geschätzt 5 Prozent der Medikamente mit einem Gegenwert von rund 360 Millionen Franken werden jährlich entsorgt. Gründe dafür sind auf ärztlicher Seite Mehrfachverordnungen und die Fehleinschätzung beim Bedarf. Aufseiten der Patientinnen und Patienten führen Wissensdefizite und fehlende Motivation zur Einnahme dazu, dass Medikamente entsorgt werden. Abhilfe schaffen kleinere Packungsgrössen, eine bessere Beratung der Patientinnen und Patienten sowie eine optimierte Koordination.

«Falls nötig braucht es Vorgaben des Bundes für die inländische Produktion der wichtig­s­ten Medikamente.»

Barbara Gysi

Der Bund ist nicht untätig und hat im Frühling eine Taskforce eingesetzt. Wie so oft im Gesundheitswesen ist jedoch nicht klar, wer den Lead übernimmt und wie die Koordination sichergestellt wird. Um die Versorgung der Bevölkerung mit den wichtigsten Medikamenten entsprechend des Bedarfs sicherzustellen, braucht es in einem ersten Schritt klare Zuständigkeiten. Dann gilt es, die Situation zu analysieren und ein Massnahmenbündel zu schnüren, um das Pro­blem zu lösen. Hebel dafür sind eine Meldepflicht für alle verschreibungspflichtigen Medikamente, Bestimmungen bezüglich des Pflichtlagers in der Armeeapotheke sowie optimierte Verpackungseinheiten. Falls nötig braucht es auch Vorgaben des Bundes für die inländische Produktion der wichtigsten Medikamente und Antibiotika mit Zusammenarbeitsverträgen mit Spitalapotheken und Herstellerfirmen. Die Gesundheitsversorgung ist ein Verfassungsauftrag, der aktuell offensichtlich auch mit stärkerer staatlicher Regulierung sichergestellt werden muss.

Contra: Josef Dittli

Ohne Frage, besteht Handlungsbedarf bei der Versorgung mit Medikamenten in der Schweiz. Wichtig für diese Diskussion sind zunächst zwei Punkte. Erstens dürfen wir nicht alles in einen Topf werfen: Knappheit herrscht heute in erster Linie bei patentabgelaufenen Medikamenten. Bei patentgeschützten Arzneimitteln hingegen sehen wir solche Probleme kaum. Ausserdem haben wir in der Schweiz ein sehr unscharfes Bild der effektiven Lage, weil ein einheitliches und verlässliches Monitoring zu den Lagerbeständen von Medikamenten (z. B. in Spitälern und Apotheken) fehlt. Zweitens sollten wir uns bewusst sein, dass die Schweiz keine Insel ist. Was banal klingen mag, ist gerade hier zentral: Die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln ist hoch spezialisiert und erfordert unzählige Schritte. Eine vollständige inländische Produktion von Medikamenten wäre nicht umsetzbar. Das führt zur Einsicht, dass der Schlüssel eine enge nationale und internationale Zusammenarbeit ist – umso mehr, als auch andere Länder Engpässe kennen. Einfach «mehr Regulierung» oder Ausschüttung von Subventionen wird solche komplexen, internationalen Herausforderungen nicht nachhaltig meistern. Stattdessen sollten wir uns um gute und liberale Rahmenbedingungen bemühen. Denn wie die Pandemie zeigte, ist ein gesunder, innovativer Forschungs- und Pharmastandort die beste Vorsorge gegen Krisen und Engpässe.

«Zentral sind eine offene Aussenwirtschaftspolitik sowie attraktive Zugangs- und Vergütungsregeln für Firmen.»

Josef Dittli

Lösungsansätze gegen Medikamentenknappheit finden sich in einem Strauss von Massnahmen, und zwar ganz ohne «mehr staatlichen Eingriff»: Es braucht eine engere Zusammen­arbeit (nicht erst in der Krise!) aller Akteure im Gesundheitswesen, es braucht ein verlässliches, schweizweites Monitoring-System und eine optimierte und finanzierte Pflichtlagerhaltung. Zentral sind zudem eine offene Aussenwirtschaftspolitik (Stichwort EU) sowie attraktive Zugangs- und Vergütungs­regeln für die Firmen. Zudem müssen die Verzögerungen beim Zugang zu neuen Medikamenten beseitigt werden. Auch dies würde die Versorgung stärken. In den Arbeiten zum Kostendämpfungspaket 2 befasst sich der Ständerat bald mit einem vielversprechenden Modell. Es sieht vor, dass zum Zeitpunkt der Swissmedic-Zulassung vom BAG sofort ein vorläufiger Preis gesetzt und das Medikament in die Spezialitäten­liste aufgenommen wird. Eine allfällige Preisdifferenz zum später festgesetzten, definitiven Preis würde von der Her­steller­­firma zurückerstattet. Betroffene hätten damit schneller Zugang, was ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Versorgung wäre.

Barbara Gysi

ist Nationalrätin der SP SG und präsidiert die nationalrätliche Gesundheitskommission 2024/25. Sie ist Präsidentin von Arud Zentrum für Suchtmedizin sowie Vorstandsmitglied des Spitex-Verbands SG/AR/AI und des fmc Schweizer Forum für integrierte Versorgung.

Josef Dittli

ist seit 2015 Ständerat des Kantons Uri und seit 2019 Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-S). Der ehemalige Berufsoffizier war während zwölf Jahren Regierungsrat im Kanton Uri (Sicherheitsdirektor/Finanzdirektor).

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