css.ch

«Die Ressourcen müssen neu verteilt werden»

Miriam Rittmann
Um die Situation in der Pflege nachhaltig zu verbessern, muss die Ressourcenfrage neu diskutiert werden. Politik, Arbeitgeber, Versicherungen und Berufsverband müssen jetzt gemein­sam nachhaltige Lösungen suchen.

Miriam Rittmann, Präsidentin des SBK Zentralschweiz

19. Oktober 2023

Das Ja zur Pflegeinitiative hat die Anerkennung und Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber der Pflege deutlich zum Ausdruck gebracht. Bei der Frage, unter welchen Rahmenbedingungen Pflege ausgeübt werden soll, sind die Meinungen allerdings geteilt. Aktuell sehen wir ein schwindendes Interesse für den Pflegeberuf und viele Berufsausstiege. Die Zahl der Berufsein- und -aussteigenden hält sich nicht die Waage. Das verschärft die Situation im Berufsalltag zusätzlich, weil die Verantwortung und Arbeitslast auf weniger Schultern verteilt werden müssen. Kann die Care-Arbeit nicht mehr nach den Standards der Profession und mit genügend Zeit ausgeführt werden, sinkt die Qualität der Pflege und löst bei Pflegenden moralischen Stress und Unzufriedenheit aus. Studien im In- und Ausland bestätigen, dass zu wenig verfügbare Pflegefachpersonen pro Patienten die Patientensicherheit gefährden. Der Faktor Zeit hat viele Dimensionen, wird aber immer in irgendeiner Form genannt, wenn nach den Gründen für einen Berufsausstieg gefragt wird: hohe Arbeitsbelastung, zu wenig Zeit für die Patientinnen und Patienten, Stress und die fehlende Erholungszeit.

Es braucht jetzt verbindliche Vorgaben

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, müssen einerseits mehr Pflegende ausgebildet und andererseits die ausgebildeten im Beruf gehalten werden. Es ist aber wenig wirkungsvoll, lediglich mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, ohne die Arbeits­umgebungsqualität zu verbessern.

Der demografische Wandel und der zunehmende Pflegebedarf zwingen uns zeitnah zum Umdenken. Die Lücke der Babyboomer-Abgänge aus dem Berufsleben muss gefüllt und frühzeitige Berufsaustritte müssen gestoppt werden. Im direkten Arbeits­umfeld bedeutet dies eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sowie die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung der Kompetenzen. Dem SBK reichen Empfehlungen nicht mehr. Es braucht jetzt verbindliche Vorgaben für eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Das zweite Paket der Pflege­initiative setzt genau da an. Politik, Arbeitgeber und Versicherer tun sich aber schwer mit der Umsetzung. Die Forderung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist von Interessenkonflikten der Stakeholder geprägt, da sie die heute gelebten Kompetenzbereiche und Strukturen tangieren.

Ressourcenverteilung neu verhandeln

Fakt ist: Wir brauchen mehr und anders eingesetztes Personal. Personal darf aber nicht im Ausland rekrutiert werden, aus Sicht des SBK ist dies unethisch. Auch die Schweiz hat den Verhaltenskodex der WHO für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften verabschiedet. Für die Patientensicherheit ist es zudem nicht vertretbar, die Lücken mit weniger qualifiziertem Personal zu schliessen.

Für die Pflege der Zukunft muss die Verteilung der finanziellen und personellen Ressourcen also neu verhandelt werden. Die Mittel im Gesundheitswesen sind begrenzt. Deshalb braucht es eine breite Diskussion darüber, welche Leistungen wir mit welchen Finanzströmen finanzieren möchten, und ausserdem Anpassungen im Tarifsystem. In die Grundversorgung, die Prävention und die Versorgung von vulnerablen Bevölkerungsgruppen – insbesondere in der Langzeitpflege – sollte verstärkt investiert werden. Das anzustrebende Resultat: eine breit abgestützte, gute Grundversorgung mit neuer Kompetenzverteilung sowie konzentrierter, spezialisierter Medizin und Pflege. 

«Das Ziel: Eine breit abgestützte, gute Grundversorgung mit neuer Kompetenzverteilung sowie konzentrierter, spezialisierter Medizin und Pflege.»

Miriam Rittmann

Wir werden es aber trotz aller Massnahmen nicht schaffen, den Fachkräftemangel zu beheben, wenn wir den Beruf nicht attraktiver machen. Der SBK fordert neue Anreize und Versorgungsmodelle wie Nurse Led Care und eine interprofessionelle integrierte Versorgung, verbesserte Prozesse mit dem gezielten Einsatz neuer Technologien (z. B. einem praxisrelevanten EPD) und eine kostendeckende Finanzierung der ambulanten und stationären Pflege. Wird Pflege attraktiver, kommt bereits ausgebildetes Personal wieder in den Beruf zurück und das Interesse der Neu- und Quereinsteigenden steigt.

Fazit

Diese Massnahmen sind weder standespolitisch motiviert noch parteipolitisch gefärbt. Sie haben allein das Ziel, die Patientenversorgung auch in Zukunft sicherzustellen. Bund, Kantone, Versicherer und Leistungserbringer müssen unter Einbezug der Sozialpartner nach Lösungen für die Versorgungsprobleme im Gesundheitswesen suchen. Es erfordert eine enge Zusammenarbeit, politisches Engagement und vor allem den Willen, die Situation in der Pflege zu verbessern. 

Miriam Rittmann

ist seit 2018 Präsidentin des SBK Zentralschweiz (Schweizer Berufsverband für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner). Die ausgebildete Intensivpflegefachfrau arbeitet bei der Fachstelle für Alter und Gesundheit der Stadt Zug. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Förderung der integrierten Versorgung in der Langzeitpflege.

CSS Gesundheitspartnerin

Wie zeigt sich ADHS?

Die Störung äussert sich bei Frauen und Männern sehr unterschiedlich. Oft wird ADHS bei Frauen nicht erkannt.

©2024 CSS