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Es braucht innovative Regulierungen

Um im Pharmasektor die öffentlichen und privaten Interessen aufeinander abzustimmen, muss die Regulierung weiterentwickelt werden.

Melissa Newham, Postdoktorandin und Dozentin der ETH Zürich

15. Februar 2024

Die globale Pharmaindustrie leistet mit der Entwicklung und Produktion innovativer medizinischer Behandlungen weltweit einen substanziellen Beitrag zur Gesundheit und zum wirtschaftlichen Erfolg. Während die Branche viele bahnbrechende Therapien bereitstellt, führt das Verhalten einzelner Pharmaunternehmen aber oft zu Kontroversen. So gibt es zum Beispiel häufig Diskussionen darüber, ob die Arzneimittelpreise zu hoch sind, und manchmal werfen die Medien den Firmen vor, ihren Profit über die Gesundheit der Patientinnen und Patienten zu stellen. Weil die Regierungen einer gut funktionierenden Pharmabranche Priorität beimessen, spielt die Regulierung eine ganz wesentliche Rolle. Fast jede Aktivität der Branche ist reguliert, von der Produktentwicklung über die Fertigung und Preisgestaltung bis zur Vermarktung.

Bedarf an staatlicher Regulierung

Staatliche Eingriffe in die Pharmaindustrie sind von branchenspezifischen Faktoren geprägt, welche die Arzneimittelversorgung im freien Markt vor Herausforderungen stellen. Ein Schlüsselmerkmal der Branche ist der beträchtliche finanzielle Aufwand und die Ungewissheit bei der Entwicklung neuer Medikamente bei relativ niedrigen Produktionskosten, nachdem das jeweilige Medikament für den Verkauf zugelassen wurde. Damit sich für Innovatoren die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung (F+E) amortisieren, ist eine staatliche Regulierung durch Patentrechte unabdingbar.

Die vom Staat gewährten Patentrechte führen über einen bestimmten Zeitraum zu einem Monopol des Innovators für sein Produkt. Die Dauer des Patentschutzes variiert von Land zu Land und je nach Art der Innovation. So sehen zum Beispiel die Orphan-Drug-Verordnungen in den USA und der EU einen längeren Patentschutz für Medikamente zur Behandlung seltener Krankheiten vor. Sobald ein Patent ausgelaufen ist, können Generika auf den Markt gebracht werden. Dies schafft Wettbewerb und senkt die Preise. Der potenziell zu erzielende Gewinn während des Patentschutzes ist für die Firmen ein Innovationsanreiz (siehe nachfolgende Abbildung).

Quelle

Ein heikles Gleichgewicht

Je nach Rechtsordnung wird der Ausgangspreis eines Medikaments entweder vom Pharmaunternehmen festgelegt oder mit der jeweiligen Regulierungsbehörde ausgehandelt. Während für Unternehmen der Anreiz besteht, gewinnmaximierende Preise festzulegen, müssen Regierungen berücksichtigen, wie den Gesundheitsbedürfnissen der Bevölkerung am besten gedient ist. Die Patientinnen und Bürger, welche letztlich die Medikamente und die Krankenversicherungen bezahlen, fordern einen fairen und bezahlbaren Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Regulierungs­behörden müssen ein Gleichgewicht finden zwischen ausreichenden Gewinnen als Innovationsanreiz für die Unternehmen und dem Gesundheitsbedürfnis der Bevölkerung.

Unterschiedliche Interessen

Die Interessen der Pharmaunternehmen, der Regierungen und der Patientinnen und Patienten können sich zwar oft überschneiden, sind aber nicht identisch. So stellen beispielsweise Anti­biotika­resistenzen aus gesellschaftlicher Perspektive eine akute Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar. Angesichts des aktuellen regulatorischen Umfelds besteht für Pharmaunternehmen jedoch kaum ein finanzieller Anreiz, neue Anti­biotika zu entwickeln. Im Unterschied zu Medika­menten gegen chronische Erkrankungen, die fort­laufend Umsatz generieren, werden Antibiotika üblicherweise nur für eine kurze Zeit eingenommen. Neue Antibiotika werden zudem häufig erst als buchstäblich letztes Mittel eingesetzt, um ihre Wirksamkeit zu erhalten. Dies schränkt ihre Verwendung noch mehr ein. Da mit einem zurückhaltenden Einsatz von neuen Antibiotika zu rechnen ist, könnten Unternehmen zum Schluss kommen, dass die zu erwartenden Gewinne die hohen F+E-Kosten für die Entwicklung dieser Medikamente nicht rechtfertigen.

Auch Versorgungsengpässe bei Medikamenten spiegeln eine Diskrepanz zwischen Profitstreben und gesundheitlichen Bedürfnissen wider. Aus gesellschaftlicher Sicht wirken sich solche Engpässe negativ auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten aus. Die Lieferentscheidung eines Privat­unternehmens beruht jedoch auf der Maximierung des Gewinns. Die notwendigen Investitionen für eine gesicherte Versorgung, etwa durch Reduktion der Anfälligkeit globaler Lieferketten und durch Bevorratung von Medikamenten, wird ein Unternehmen daher nur dann vornehmen, wenn sie aus seiner Sicht finanziell sinnvoll sind.

Neue Regulierungen sind nötig

Neue Regulierungsinstrumente sind nötig, um die Interessen der öffentlichen Gesundheit mit jenen privater Unternehmen dort abzustimmen, wo sie auseinanderdriften. Sowohl «Push»- als auch «Pull»-Strategien können z. B. als Anreiz zur Entwicklung neuer Antibiotika eingesetzt werden. Den «Push»-Ansatz sollten Regierungen anwenden, um die Entwicklung neuer Antibiotika finanziell zu unterstützen. Wie zum Beispiel CARB-X: Diese globale, von einem Konsortium aus Regierungen und Stiftungen gegründete gemeinnützige Partnerschaft fördert die Entwicklung neuer Antibiotika mit Subventionen, welche die Entwicklungskosten senken. «Pull»-Anreize belohnen diejenigen, die erfolgreich ein neuartiges antimikrobielles Produkt entwickelt haben, indem sie zukünftige Einnahmen erhöhen oder sichern. Dies kann in Form von Vergütungen bei Markteintritt erfolgen: Statt auf die Gewinne aus dem Verkauf zu setzen, bieten Regierungen den Pharmaunternehmen als Innovationsanreiz eine Vorauszahlung je nach potenziellem Nutzen des Medikaments an.

«Der potenziell zu erzielende Gewinn während des Patentschutzes ist für die Firmen ein Innovationsanreiz.»

Melissa Newham

Den regulatorischen Schutz für neue Medikamente zu verkürzen, ist eine weitere mögliche Strategie, um Innovation auf die «unmet medical needs» (ungedeckte medizinische Bedürfnisse) zu lenken und den Wettbewerb im Arzneimittelmarkt zu fördern. Gleichzeitig können die Unternehmen Schutzjahre «zurückgewinnen», wenn ihr Produkt nachweislich einem bisher ungedeckten medizinischen Bedarf entspricht. Eine solche Massnahme wurde vor Kurzem von der Europäischen Kommission vorgeschlagen.

Auf Versorgungsengpässe könnte die Politik kurzfristig reagieren, indem sie die Transparenz in Bezug auf die Lieferzuverlässigkeit verbessert. So können die Gesundheitsdienstleister ihre Produkte von den vertrauenswürdigsten Firmen beziehen. In der Schweiz hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verschiedene Massnahmen ergriffen, um die Medikamentenversorgung stärker abzusichern. So wurden die Möglichkeiten für eine eigene Arzneimittelproduktion der Gesundheitsdienstleister ausgebaut und der Import von nicht in der Schweiz erhältlichen Medizinprodukten vereinfacht. Langfristigere Strategien könnten beinhalten, dass die Regierungen eine aktivere Rolle bei der Sicherung der Versorgung mit wichtigen Medikamenten übernehmen und so die Widerstandsfähigkeit globaler Lieferketten verbessern.

Regierungen müssen zur Förderung sowohl des menschlichen Wohlbefindens als auch des wirtschaftlichen Erfolgs ein regulatorisches Umfeld schaffen, das die Pharmaindustrie veranlasst, das öffentliche Interesse zu priorisieren. Die Regierungen verfügen über eine Reihe von Regulierungsinstrumenten wie Patent- und Preisregulierungen, die weiter optimiert werden können. Darüber hi­naus gibt es viel Raum für innovative regulatorische Ansätze. Schliesslich muss die Regulierung stetig weiterentwickelt werden, um neue Herausforderungen anzugehen und das Funktionieren der Märkte mit den gesellschaftlichen Präferenzen in Einklang zu bringen.

Melissa Newham

ist Postdoktorandin und Dozentin im Departement für Management, Technologie und Ökonomie der ETH Zürich. Ihre Forschung konzentriert sich auf Wirtschaftspolitik, Regulierung, Wettbewerb und Gesundheitsmärkte.

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