Die Verantwortung ist mehrseitig
Antibiotikaresistenzen und die Knappheit wirksamer Antibiotika sind ein zunehmend ernstes Problem, das direkt mit dem weitreichenden, zum Teil auch unkritischen Gebrauch von Antibiotika zusammenhängt. Dessen Lösungsansätze liegen nicht nur in der Verantwortung der Pharmabranche, sondern auch der Bevölkerung und der Ärzteschaft. Letztere müssen abschätzen bzw. testen, ob die gängigen Antibiotika der ersten Wahl bei einer Behandlung eingesetzt werden können. Es ist problematisch, zu rasch und von Anfang an breit wirksame (Reserve-)Antibiotika einzusetzen, weil sich so Resistenzen häufiger und breiter entwickeln.
Am Bedürfnis vorbei
Trotz starker Regulierung erbringt der Medikamentenmarkt nicht immer gesellschaftlich erwünschte Ergebnisse. Welche neuen Lösungen braucht es?
Die medizinischen Herausforderungen durch antibiotikaresistente Bakterien sind komplex:
- Die Therapie erster Wahl wirkt nicht, es ist aber nicht immer klar, wer Infektionen mit solchen Bakterien hat.
- Die Therapie der zweiten Wahl ist oft weniger wirksam, kann allenfalls nicht als Tablette, sondern muss als Infusion verabreicht werden, hat nicht selten mehr Nebenwirkungen und zieht weitere Resistenzentwicklung nach sich.
Das kann dazu führen, dass bestimmte Patientinnen und Patienten, zum Beispiel bei Verlegungen aus dem Ausland, mit Bakterien besiedelt oder infiziert sind, die gegen praktisch alle Antibiotika resistent sind. Spitäler sollten Risikopatientinnen und -patienten aus diesem Grund gezielt auf resistente Bakterien testen. Einerseits ermöglicht dies eine wirksame Therapie im Falle einer Infektion, andererseits müssen diese Patientinnen und Patienten isoliert werden, damit sich solche Bakterien im Spital nicht ausbreiten.
Je breiter und ausgedehnter die Verschreibung und der Einsatz von Antibiotika sind, desto stärker wächst der Anteil resistenter Bakterien. Das bedeutet, dass immer mehr Reserveantibiotika benötigt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass bestimmte Antibiotika, die seit Jahrzehnten eingesetzt werden, nicht mehr ausreichend verfügbar sind, weil der Vertrieb für die Hersteller finanziell nicht attraktiv ist.
«Gemäss Guidelines eingesetzte Antibiotika müssen auch verfügbar sein.»
Christoph Berger
Grundsätze für den Antibiotikaeinsatz
Um die Problematik von Antibiotikaresistenzen zu entschärfen, wenden wir die Grundsätze für den rationellen Einsatz von Antibiotika an, wie sie auch im nationalen Programm Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) beschrieben sind. Dazu gehören:
- Restriktiver Einsatz von Antibiotika: Antibiotika sollen gezielt eingesetzt werden und nur, wenn es sie wirklich braucht.
- Die präzise Wahl des richtigen Antibiotikums, basierend auf dem vermuteten Erreger. Wo immer möglich, sollte der Erreger identifiziert werden, um sicherzustellen, dass die Therapie wirksam ist oder noch gezielter erfolgen kann. Ein Antibiotikum sollte am Ort der Infektion wirken, d. h. in der dazu ausreichenden Dosierung und für die richtige Therapiedauer verabreicht werden.
- Aktuelle, evidenzbasierte und anwenderfreundliche Guidelines.
Gut angelegte, hochwertige klinische Studien, um diese Evidenz zu überprüfen, zu bestätigen oder Anpassungen zur Optimierung von Guidelines und dem Antibiotikaeinsatz zu ermöglichen. - First-Line-Antibiotika in ausreichender Menge und richtiger Verabreichungsform (z. B. Suspensionen bei Kindern). Dies ist eine Voraussetzung, um das optimale Antibiotikum in einer Verabreichungsform einzusetzen, die eine ideale Dosierung ermöglicht und vom Patienten gut toleriert und eingenommen wird (z. B. Nebenwirkungen, Geschmack etc.).
- Mikrobiologische Laboratorien und Referenzzentren, welche die Resistenzentwicklungen verfolgen.
- Isolationsmassnahmen für Patientinnen und Patienten in Spitälern und anderen Gesundheitseinrichtungen, um die Übertragung resistenter Bakterien zu verhindern.
- Information für Patientinnen und Patienten sowie für die Bevölkerung, wie Antibiotika wirken und wann sie eingesetzt werden sollen und müssen – und wann nicht.
Verfügbarkeit ist entscheidend
Antibiotika, die gemäss Guidelines eingesetzt werden sollen, müssen aber auch verfügbar sein. Deshalb sollte möglichst nicht nur ein Produkt eines Antibiotikums auf dem Markt sein, sondern mehrere. Eine Pflichtlagerhaltung kann dort diskutiert werden, wo es zu Engpässen kommen könnte oder wo das Fehlen von Therapeutika zu gefährlichen Lücken führt. Entscheidend ist, dass es einen Austausch über die Verfügbarkeit bzw. bei erwarteter eingeschränkter Verfügbarkeit gibt. Die Datenbank www.drugshortage.ch ist im Alltag ein sehr hilfreicher Ansatz im Spital und in der Praxis.