Wo Gleichheit endet

Programme zur Krebsfrüherkennung laden die gesunde Zielbevölkerung regelmässig zu franchisebefreiten, qualitätskontrollierten Vorsorgeuntersuchungen ein. Durch frühzeitige Erkennung verbessern sie die Behandlungschancen, senken die Krebssterblichkeit und Gesundheitskosten und tragen gleichzeitig zur Chancengleichheit bei. Die Krebsfrüherkennung liegt in der Verantwortung der Kantone. Während die ersten bereits 1999 entsprechende Programme einführten, existieren 25 Jahre später in einigen Kantonen immer noch keine. Vor mehr als zehn Jahren versuchte der Bundesrat, dieser Ungleichbehandlung der Bevölkerung mit einer nationalen Gesetzgebung für Prävention und Gesundheitsförderung Abhilfe zu verschaffen, aber die Vorlage für ein Bundesgesetz scheiterte im Ständerat. Das Gesetz hätte ermöglicht, Gesundheitsförderung und Prävention national zu koordinieren. Deshalb rufen heute noch die Kantone Krebsfrüherkennungsprogramme ins Leben. Mit der Umsetzung werden je nach Kanton Einheiten der kantonalen Verwaltung oder externe Partner beauftragt, etwa die kantonale Krebsliga oder eigens dafür geschaffene Organisationen. Die Betreiber dieser Programme haben sich zum Verband Swiss Cancer Screening zusammengeschlossen, unter anderem, um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können.
Die Karten neu mischen
Die Herausforderungen des Föderalismus im Gesundheitswesen verlangen nach neuen Ansätzen – auch über Kantonsgrenzen hinweg.

Westschweiz voraus, Deutschschweiz zögert
2024 gab es 28 kantonale Krebsfrüherkennungsprogramme (die Hälfte davon für Brust-, die andere Hälfte für Darmkrebs), die von den zwölf Mitgliedern von Swiss Cancer Screening betrieben werden. Die meisten Kantone haben sowohl für Brust- als auch für Darmkrebs entsprechende Früherkennungsprogramme. Die (Halb-)kantone Aargau, Baselland und Schaffhausen planen die Einführung eines Früherkennungsprogramms für Brustkrebs, während Schaffhausen, Solothurn und Thurgau ein solches für Darmkrebs anstreben. In den Kantonen Glarus, Nidwalden, Obwalden Schwyz, Zug und Zürich werden Krebsfrüherkennungsprogramme weder angeboten noch geplant.
«Die Folgen der kantonalen Unterschiede in der Krebsfrüherkennung tragen wir alle.»
In der Schweiz werden weder Früherkennungsprogramme für Gebärmutterhalskrebs noch für Lungenkrebs angeboten, obwohl das zuständige Expertengremium Cancer Screening Committee 2021 resp. 2022 die Einführung empfohlen hat. Solche Programme existieren in mehreren europäischen Ländern teilweise seit vielen Jahren. Die Einführung benötigt den politischen Willen im entsprechenden Kanton und die notwendigen Ressourcen. Der politische Wille ist traditionell in der Westschweiz früher da als in den Deutschschweizer Kantonen. Brustkrebsfrüherkennungsprogramme entstanden zwischen 1999 und 2007 in allen Westschweizer Kantonen, während St. Gallen und Thurgau 2010 die ersten Deutschschweizer Kantone mit entsprechenden Programmen waren. Uri war weltweit ein Pionier bei der Darmkrebsfrüh- erkennung (2013). Als Basel-Stadt und Graubünden 2020 ein Darmkrebsfrüherkennungsprogramm einführten, hatten dies alle Westschweizer Kantone schon getan. Die Durchführbarkeit von Krebsfrüherkennungsprogrammen muss jeweils in einer Machbarkeitsstudie geprüft werden, um kantonalen Eigenheiten gerecht zu werden; die Einführung an sich ist jedoch technisch machbar.
Italien beweist, dass flächendeckende Krebsfrüherkennungsprogramme unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede möglich sind. Selbst in den kleinsten Dörfern Süditaliens werden Programme zur Früherkennung von Brust-, Darm- und Gebärmutterhalskrebs angeboten – dank Screening-Bussen, die von Dorf zu Dorf fahren.
Messbare Erfolge
Die Folgen der kantonalen Unterschiede tragen wir alle über die Krankenversicherungsprämien. Mit der Einführung des Krebsregistrierungsgesetzes (KRG) 2020 schaffte die Schweiz die Voraussetzungen, um die Wirkung der Programme flächendeckend zu messen. Eine Studie mit schweizweiten Daten erbrachte im Oktober 2024 den Beweis für die frühere Erkennung von Brustkrebs in Kantonen mit Brustkrebsfrüherkennungsprogrammen im Vergleich zu Kantonen ohne entsprechende Programme. Sie zeigt, dass in Regionen ohne Screening-Programme signifikant grössere Tumore mit mehr Fällen von Lymphknotenmetastasen festgestellt werden als in den übrigen Regionen mit kantonalen Screening-Programmen. Darmkrebs kann über Früherkennungsprogramme so zeitig erkannt werden, dass Krebsvorstufen entfernt werden können, bevor die Person erkrankt. In einem frühen Stadium sind die Erfolgschancen deutlich besser als bei späten Stadien. Die frühe Erkennung von Darm- und Brustkrebs steigert die Chance auf ein längeres Leben bei guter Lebensqualität. Eine Chance, die der Bevölkerung in Kantonen ohne Programm verwehrt bleibt.
Solange die kantonalen Unterschiede politisch motiviert sind, führt der Weg zur Einführung von Krebsfrüherkennungsprogrammen über die Politik. Vorstösse in kantonalen Parlamenten haben bereits mehrmals zur Einführung von Krebsfrüherkennungsprogrammen beigetragen, in Einzelfällen auch gegen den Willen der Kantonsregierungen.