Wenn sich Qualität auszahlt
Trotz einer im OECD-Vergleich erstklassigen Versorgung und Lebenserwartung steht das Schweizer Gesundheitssystem vor massiven Herausforderungen: Mit einer alternden Bevölkerung, wachsenden Behandlungsmöglichkeiten und hohem Qualitätsanspruch drohen die bereits hohen Kosten auszuufern. Die Schweiz ist damit aber nicht allein; und es gibt bereits Lösungsansätze für hochqualitative Versorgung der Versicherten und langfristige Wirtschaftlichkeit.
Vermessene Versorgung?
Fehlende Transparenz, unklare Steuerung, unterschiedliche Perspektiven: Wie können wir Qualität in unserem Gesundheitssystem messen?
Vom Mengenanreiz zum Mehrwert
Lange galt für Leistungserbringer das Motto «je mehr Behandlungen, desto mehr Geld» – mit Überversorgung, vermeidbaren Komplikationen und steigenden Prämien als Folge. Value-Based Reimbursement (VBR) kehrt das Prinzip um: Bezahlt wird in Abhängigkeit der erzielten Gesundheitsergebnisse. Damit richtet sich der Blick auf das, was für Patientinnen und Patienten zählt: Gesundheits- und Lebensqualität. «Value» bezeichnet dabei das Verhältnis zwischen gesundheitlichem Nutzen für Betroffene und den dafür eingesetzten Gesamtkosten.
Grundlage und Chancen von Value-Based Reimbursement
VBR verknüpft die Vergütung mit messbaren Gesundheitsergebnissen, den sogenannten Patient-Reported Outcomes (PROs) – etwa das Nachlassen von Schmerzen oder die Wiederherstellung der Beweglichkeit. Digitale Erhebungen mit Betroffenen schaffen dabei eine gemeinsame Datenbasis für Versorgung und Vergütung. Eine auf PROs und Value-basierte Vergütung belohnt eine Versorgung, die auf individuelle Ergebnisqualität und langfristige Wirtschaftlichkeit ausgerichtet ist.
Werden PROMs vergütungsrelevant, können Komplikationen und Kosten zugleich sinken. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass es bereits funktionierende Modelle gibt:
- USA: Das Hospital-Value-Based-Purchasing-Programm behält 2 Prozent jeder diagnosebezogenen Fallpauschale (Diagnosis Related Group, kurz DRG) ein und verteilt sie nach einem Vier-Domänen-Score (Outcomes, Sicherheit, Patientenerlebnis, Effizienz). Bei Kliniken, die anfänglich Abzüge hinnehmen mussten, sanken im Folgejahr Wiederaufnahmen und Mortalität deutlich.
- Grossbritannien: Das NHS Payment Scheme kombiniert fixe Budgets mit variablen Qualitätsanteilen. Ab 2025/26 erhalten Leistungserbringer für ambulante Hüft- und Knie-Operationen die volle Vergütung nur bei erfüllten Qualitätsindikatoren.
- Dänemark: PROMs werden seit 2017 grossflächig erhoben. Ein neuer Fragebogen für kardiale Rehabilitation erreichte 2024 hohe Akzeptanz und wird nun mit nationalen Registern verknüpft, um Budgets künftig strikt ergebnisorientiert zu vergeben.
- Deutschland: Qualitätsverträge zwischen Krankenversicherungen mit Kliniken ermöglichen seit 2018 Zusatzvergütungen, sofern definierte Qualitätsziele erreicht sind. Ein Beispiel ist das PROvalue™-System, auf das über 55 Krankenversicherungen und Kliniken in den Bereichen Endoprothetik, Geburtshilfe und Mangelernährung setzen. PROMs erreichen Rücklaufquoten von bis zu 90 Prozent und zeigen eine messbar hohe Patientenzufriedenheit. Kritische Werte werden automatisch gemeldet, wodurch das Personal entlastet wird. Die PROM-Daten fliessen in Echtzeit ans Behandlungsteam und bilden eine ergebnisorientierte Vergütungsgrundlage für die Krankenversicherer.
Routine statt Piloten für die Schweiz
SwissDRG und TARMED belohnen aktuell primär die Menge und nicht das patientenrelevante Ergebnis. Das KVG bietet zwar Raum für qualitätsbasierte Vergütung, diese Möglichkeit wird jedoch kaum genutzt. Erste Praxisprojekte wie etwa eine Pilotierung von PROMs in der Arthrose-Begleitung durch die CSS zeigen aber, was möglich wäre. Positiv auch: In der Endoprothetik und Onkologie haben PROM-
Messungen regional bereits Einzug in die schweizerische Versorgungslandschaft gehalten.
Eine wertebasierte Versorgung und ein Value-Based Reimbursement können nur gelingen, wenn sich auch die finanziellen Anreize im System für alle Akteure am Gesundheitsergebnis ausrichten. Ausserdem braucht es eine landesweit einheitliche und neutrale Dateninfrastruktur sowie obligatorische PROM-Messungen. Die daraus entstehende Transparenz bildet die Grundlage für ein «VBR made in Switzerland» – international inspiriert, aber regional optimiert.
PROs: Ein Patient-Reported Outcome (PRO) ist ein Gesundheitszustand oder Therapie-Ergebnis, das unmittelbar von der Patientin bzw. dem Patienten selbst berichtet wird – ohne jegliche Interpretation durch medizinisches Personal oder andere Dritte.
PROMs: Ein Patient-Reported Outcome Measure (PROM) ist ein standardisierter Fragebogen bzw. Messinstrument, das patientenberichtete Outcomes systematisch von den Betroffenen erfasst.