Susanne Gedamke und Dr. med. Yvonne Gilli
pro: Susanne Gedamke, Geschäftsführerin der SPO
Die Forderung nach mehr Qualitätstransparenz im Gesundheitssystem ist berechtigt. Patientinnen und Patienten möchten wissen, wo sie die für sie und ihre Lebenssituation passenden Angebote finden. Die Einführung eines öffentlichen «Qualitätsrankings» ist zu begrüssen. Damit ein solches Ranking jedoch sinnvoll und nachhaltig ist, müssen die relevanten Qualitätsinformationen qualitätsgeprüft, verständlich und lebensnah aufbereitet werden.
Zentral ist dabei die Perspektive der Nutzenden. Was für die Fachwelt als Qualität gilt, zum Beispiel Komplikationsraten oder Prozesskonformität, ist nicht automatisch das, was für Patientinnen und Patienten zählt. Aus ihrer Sicht sind häufig Aspekte wie Kommunikation, Empathie, Einbezug in Entscheidungen, Kontinuität oder der Einbezug des Umfelds entscheidend. Deshalb ist der erste Schritt zur sinnvollen Vergleichbarkeit nicht die Bewertung, sondern eine gemeinsame Definition dessen, was Qualität überhaupt bedeutet.

«Wir brauchen Qualitätsindikatoren, die medizinische Evidenz und gelebte Erfahrung verbinden.»
Das heisst: Wir brauchen Qualitätsindikatoren, die medizinische Evidenz und gelebte Erfahrung verbinden. Dies kann zum Beispiel durch die konsequente und flächendeckende Erhebung von PROMs und PREMs, aber auch durch die Mitwirkung von Betroffenen und Angehörigen bei der Entwicklung von Qualitätssystemen passieren. Denn nur so entsteht ein vollständiges Bild von Qualität.
Transparenz über Qualität ist richtig und notwendig, aber nur, wenn sie differenziert und für Patientinnen und Patienten relevant ist. Dabei zählt die Orientierung: Patientinnen und Patienten brauchen Informationen, die ihnen in ihrer konkreten Lebenssituation helfen, fundierte und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Dazu gehören nicht nur Daten, sondern auch Kontext, Unterstützung und Vertrauen.
Vermessene Versorgung?
Fehlende Transparenz, unklare Steuerung, unterschiedliche Perspektiven: Wie können wir Qualität in unserem Gesundheitssystem messen?
contra: Dr. med. Yvonne Gilli, Präsidentin der FMH
Eines ist klar: Patienten und Patientinnen müssen sich auf die Qualität ihrer Versorgung verlassen können und diese Qualität muss auch ständig weiterentwickelt werden. Strittig ist nur: Wie genau kann man das am besten leisten?
Qualitätssicherung und -entwicklung sind sehr wichtige und komplexe Aufgaben. Genau darum verdienen sie echte Lösungen – öffentliche Qualitätsrankings sind leider keine, wie wir aus vielen Studien zum Thema wissen. Zum Beispiel zeigt die Evidenz, dass öffentliche Qualitätsvergleiche vor allem die Dokumentation der Versorgung verbessern – kaum aber die Versorgung selbst. Auch die Entscheidungen der Patientinnen und Patienten werden durch Qualitätsratings nicht unterstützt, denn diese vertrauen persönlichen Empfehlungen, wie etwa von ihrer Hausärztin oder von Angehörigen, mehr als abstrakten Qualitätsdaten.
Tatsächlich geben Qualitätsrankings kaum Auskunft über Qualität: Ein faires Ranking setzt vergleichbare Rahmenbedingungen und standardisierte Leistungen voraus – diese sind aber angesichts der Vielfalt individueller Versorgungssituationen nicht gegeben. So laufen Rankings immer Gefahr, nicht vergleichbare Daten zu vermischen – und somit ungerechtfertigt zu gute und zu schlechte Bewertungen zu publizieren.

«Tatsächlich geben Qualitätsrankings kaum Auskunft über die Qualität.»
Sie können aber noch schlimmere Folgen haben, wie Studien belegen. Etwa, dass Risikopatienten abgelehnt werden: Bei ihnen drohen schlechtere Behandlungsergebnisse – und damit ein Abstieg im Qualitätsranking. Qualitätsrankings suggerieren also in ihrer Oberflächlichkeit Objektivität, wo real keine Vergleichbarkeit besteht. Sie gehen an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten vorbei und können ihnen sogar schaden. Zum Glück braucht es auch keine Rankings: Es gibt differenzierte Ansätze, die wirklich zur Verbesserung der Versorgung beitragen. Evidenzbasierte Methoden wie systematisiertes Peer-Feedback oder Qualitätszirkel fördern strukturierte Lernprozesse. Auch Versorgungsforschung und Registerdaten sind zentrale Instrumente.
Mit dem aktuell neu verhandelten Qualitätsvertrag schaffen die FMH und prio.swiss einen Rahmen für wirksame Methoden: Alle Fachgesellschaften definieren künftig den für sie relevanten Handlungsbedarf. Die Leistungserbringer führen evidenzbasierte Qualitätsverbesserungsmassnahmen ein – die auch von prio.swiss unterstützt werden. Zu jedem Leistungserbringer wird publiziert, ob er den Qualitätsvertrag erfüllt. Dies bringt den Patienten und Patientinnen echte Transparenz – ganz ohne schädliche Nebenwirkungen.