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Lukas Engelberger und Bettina Balmer

Lukas Engelberger und Bettina Balmer
Nachgefragt: Soll die ärztliche Arbeit mit Daten unterstützt und kontrolliert werden?

Lukas Engelberger, Vorsteher des Gesundheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt (Die Mitte)

Dr. med. Bettina Balmer, Nationalrätin und Fachärztin für Kinderchirurgie

21. Oktober 2024

Pro: Lukas Engelberger

Was macht eine Ärztin oder ein Arzt als Erstes, wenn sie oder er eine Patientin bzw. einen Patienten empfängt? Sie oder er stellt Fragen. Dabei geht es um das momentane Befinden, allfällige Schmerzen und Einschränkungen, aber auch um Medikationen, frühere Erkrankungen und Behandlungen. Vor allem in der Hausarztpraxis, aber auch bei der Aufnahme im Spital stehen diese Sachfragen im Vordergrund. Für die Diagno­se­stellung ist eine umfassende Kenntnis der Krankengeschichte unverzichtbar. Viel einfacher wäre es für eine Ärztin, wenn sie dabei auf ein elektronisches Patientendossier (EPD) zurückgreifen könnte, in dem alle Daten zur Krankengeschichte gespeichert sind.

In einem Patientendossier sind solche Informationen über die Vergangenheit abgelegt. Während einer Behandlung fallen aber laufend neue Daten an. Wird ein Patient von mehreren Spezialisten betreut, ist der Zugriff aller auf detaillierte aktuelle Patientendaten essenziell. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass sich Medikamente oder Behandlungsschritte gegenseitig behindern. Die Weiterentwicklung und -verbreitung des EPD ist zentral für die Datenvernetzung im System. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) setzt sich deshalb für eine Weiterentwicklung und Verbreitung des EPD auf gesamtschweizerischer Basis ein.

Lukas Engelberger

«Daten ganzer Patientengruppen können dabei helfen, Risikofaktoren zu erkennen oder Behandlungen zu verbessern.»

Lukas Engelberger

Für eine gute medizinische Versorgung sind aber nicht nur jene Daten wichtig, die einen einzelnen Patienten betreffen. Daten ganzer Patientengruppen können dabei helfen, Risikofaktoren zu erkennen oder Behandlungen zu verbessern. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung von Präventionsmassnahmen. Auch in Forschung und Innovation ermöglichen Daten medizinische Fortschritte und spielen eine immens wichtige Rolle in der Weiterentwicklung der modernen Medizin. Big Data beginnt im Kleinen und ist ein Geben und Nehmen: Sämtliche Leistungserbringer sind bei der Erfassung gefordert und profitieren von der Verwendung. Aufschlussreiche Daten helfen insbesondere Ärzten dabei, ihre eigene Arbeit zu überprüfen und zu verbessern. Sie tragen auf allen Ebenen dazu bei, die Gesundheitsversorgung zu verbessern und unnötige Behandlungen – und damit unnötige Kosten – zu vermeiden. Die GDK unterstützt deshalb das Programm «DigiSanté» und wirkt daran aktiv mit.

Daten können schliesslich auch für Kontrollen der Aufsichtsbehörden hinzugezogen werden. Auf abstrahiertem Niveau ist es möglich, mit ihnen Über- oder Fehlversorgungen festzustellen und möglichst zu reduzieren. So können bessere Behandlungen erzielt werden. Insgesamt ermöglichen Daten es der Ärztin oder dem Arzt, sich ganz auf die Patientin oder den Patienten und die wichtigste Frage im Alltag zu konzen­trieren: Wie geht es Ihnen? 

Contra: Bettina Balmer

Daten spielen in der Medizin eine grosse Rolle. Wir arbeiten täglich mit evidenzbasierten Richtlinien. Schon den Medizinstudenten ist «PubMed» bekannt, die englischsprachige medizinische und biomedizinische Meta-Datenbank mit über 25 Millionen Zitaten aus ungefähr 5600 Zeitschriften. Wer zweifelt, ob Ärzte mit Daten arbeiten, kennt unseren Alltag nicht: Selbstverständlich arbeiten wir mit Daten!  

Daten liefern in der Medizin Grundlagen und Wahrscheinlichkeiten. Für den Einzelfall trifft aber nicht immer zu, was für ganz viele Patienten aufgrund der Datenlage richtig ist. So wird zum Beispiel bei einem gewissen Knochenbruch operiert, weil die Daten eine höhere Wahrscheinlichkeit ergeben, dass mit einer Operation eine komplikationslose Heilung erfolgt. Jedoch gibt es auch Fälle, wo z. B. wegen fehlender Narkosefähigkeit auf eine Operation verzichtet werden muss und dies bei einem einzelnen Patienten am Ende trotzdem zu einer perfekten Heilung seines Knochenbruches führt. Diese Fälle sind aber insgesamt seltener.

Umso wichtiger ist es darum, nicht nur datenbasiert die Sinnhaftigkeit von Diagnostik und Therapie abzuschätzen, sondern gemeinsam mit dem Patienten die individuell richtige Lösung zu finden. 

Die Medizin ist keine exakte Wissenschaft. Persönliche Umstände von Patienten und darauf basierende Entscheide lassen sich nur begrenzt in rigiden datenbasierten Algorithmen abbilden. Es gibt keine scharfe Grenze, denn manchmal sind rational schwierig zu erfassende persönliche Faktoren wichtig.  

Bettina Balmer

«Für den Einzelfall trifft nicht immer zu, was für ganz viele Patienten aufgrund der Datenlage richtig ist.»

Bettina Balmer

Soll man einen Säugling mit unstillbarem Schreien hospitalisieren oder ambulant behandeln? Wie weit spielen der Erschöpfungszustand der Eltern und das familiäre Auffangnetz eine Rolle? Gibt es eine fixe Anzahl Schreistunden, die eine Hospitalisation rechtfertigt? Ein anderes Beispiel aus der Kinderheilkunde: Wann soll ein Kind nach einem Sturz hospitalisiert werden? Gewisse Kliniken sagen, als Faustregel sei eine Hospitalisation indiziert, wenn die Sturzhöhe dem Doppelten der Kindslänge entspricht. Auch hier sind aber viele weitere Faktoren zu berücksichtigen. Schon nur die Frage, wie es dem Patienten und seinem Umfeld nach dem Sturz geht, ist zentral.  

Zusammenfassend ist die datenbasierte Unterstützung der ärztlichen Arbeit eine Tatsache, eine rein datenbasierte Kontrolle ärztlicher Handlungen aber schwierig. Gute ärztliche Arbeit kann nicht auf die Anwendung von Daten reduziert werden. Übrigens stellt sich auch die Frage, wer alleine mittels Daten die ärztliche Arbeit kontrollieren soll. Andere Ärzte? In Zeiten des Fachkräftemangels sollten wir auch bei den Ärzten möglichst alle Fachkräfte dort einsetzen, wo es sie wirklich braucht – nämlich bei den Patienten. 

Lukas Engelberger

ist seit 2020 Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) und seit 2014 Vorsteher des Gesundheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt (Die Mitte). Zudem ist er Verwaltungsratsmitglied der Cantosana AG.

Dr. med. Bettina Balmer

ist Fachärztin für Kinderchirurgie auf der Notfallstation im Kinderspital Zürich. Von 2015 bis 2023 war sie FDP-Kantonsrätin für die Stadt Zürich. Seit 2023 vertritt sie die FDP im Nationalrat und ist Mitglied der WBK.

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