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«Je weniger die Politik mitredet, desto besser»

Soll der Bund bei der Spitalplanung mitreden können, wie das ein Vorstoss des Zürcher GLP-Nationalrats Patrick Hässig fordert? Der Thurgauer Gesundheits­direktor Urs Martin kann dieser Idee wenig abgewinnen.

Patrick Hässig, GLP-Nationalrat für den Kanton Zürich

Patrick Rohr, Journalist und Moderator

Urs Martin, Regierungsrat und Vorsteher des Departement Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau

19. Februar 2025

Patrick Hässig, Sie haben eine Motion eingereicht, die verlangt, dass der Bund die Spitalplanung übernimmt. Ist das nicht ein massiver Eingriff in die Hoheit der Kantone?

Patrick Hässig: Ich möchte das gerne korrigieren: Mein Vorstoss verlangt nicht, dass der Bund die Spitalplanung übernimmt, sonst hätte ich ihn anders formuliert.

Darf ich zitieren? In Ihrem Motionstext steht: «Der Bundesrat wird beauftragt, die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen zu ändern, damit die Spitalplanung neu vom Bund in enger Zusammenarbeit und (unter) grösstmöglicher Einflussnahme der Kantone durchgeführt wird.»

Patrick Hässig: Meine Idee ist nicht, dass der Bund entscheiden soll, welche Spitäler wo stehen. Mir schwebt vor, dass, wenn die Kantone sich nicht finden – und das war in den letzten Jahren erwiesenermassen öfter der Fall –, eine andere Instanz, im besten Fall der Bund, die Kompetenz erhält, mitzuentscheiden. Heute hat der Bund gar keine Kompetenz.

Weil sie bei den Kantonen liegt.

Patrick Hässig: Genau. Und das möchte ich aufweichen.

Was aber ein massiver Eingriff in die Kompetenz der Kantone wäre.

Patrick Hässig: Wenn sie sich nicht finden, ja.

Wofür müssten sie sich denn finden?

Patrick Hässig: Die Spitalkosten machen einen Drittel unserer Gesundheitskosten von 90 Milliarden Franken aus. Wenn wir die Kosten dämpfen wollen – von einer Senkung wagt man ja schon gar nicht mehr zu reden –, muss man nicht bei den Globuli ansetzen, sondern dort, wo es wirklich zu sparen gibt. Wir haben zu viele Spitäler und die wollen alle auch die ganze Palette an Leistungen anbieten. Darunter leidet die Qualität der einzelnen Häuser, weil die Abteilungen ihre Mindestfallzahlen nicht erreichen und deshalb bei gewissen Eingriffen zu wenig routiniert sind. Eine Konzentration wäre sinnvoll – aus Kosten- und aus Qualitätsgründen.

Herr Martin, die Ostschweiz hat bewiesen, dass die Kantone es nicht schaffen, sich selber zu organisieren: 2020 haben sechs Kantone euphorisch beschlossen, eine gemeinsame Spitalplanung an die Hand zu nehmen, heute sind noch drei dabei, auch der Thurgau ist ausgestiegen.

Urs Martin: Wir sind erst nachträglich dazuge­kommen …

… nachdem Sie zunächst etwas beleidigt waren, dass St. Gallen Sie nicht von Beginn weg eingeladen hatte. Sie wollten aktiv dabei sein.

Urs Martin: Das ist korrekt, wir wollten dabei sein. Und wir sind wieder ausgestiegen, weil die ganze Übung am Schluss keine Kosteneinsparung gebracht hätte, was aber eine der Bedingungen gewesen wäre, um überhaupt weiter zu diskutieren. Der Vorstoss von Herrn Hässig ist spannend, man kann das Thema sicher diskutieren, aber ich bin überzeugt, dass er spätestens im Ständerat scheitern wird. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Motion durchkäme und auch eine Volksabstimmung überstehen würde – was ich nicht glaube –, bin ich überzeugt, dass der Bund nicht in der Lage wäre, diese Planung sinnvoll zu gestalten. Verantwortlich wäre das gleiche BAG, das es über zwei Jahrzehnte hinweg nicht geschafft hat, ein funktionierendes elektronisches Patientendossier einzuführen.

Das ist ein unzulässiger Vergleich.

Urs Martin: Nein! Denn Spitalplanung ist hochkomplex. Ich glaube schlicht nicht, dass der Bund das kann, auch weil er zu weit vom Bürger entfernt ist.

«Ich bin überzeugt, dass der Bund nicht in der Lage wäre, die Spitalplanung sinnvoll zu gestalten.» Urs Martin

Die Kantone schaffen es ja auch nicht, wie Sie mit Ihrem Austritt aus der angedachten Ostschweizer Planung bewiesen haben.

Urs Martin: Im Kanton Thurgau machen alle Spitäler, die öffentlichen und die privaten, Gewinn und zahlen dem Kanton Steuern.

Ihre Spitäler sind seit 1999 in einer AG, die zu 100 Prozent dem Kanton gehört. 2023 haben sie 1,1 Mio. Franken Verlust gemacht.

Urs Martin: Nein, sie haben Gewinn gemacht.

Die Thurmed Gruppe, zu der auch Wäschereien und Apotheken gehören, hat Gewinn gemacht. Die Thurgau Spital AG als Teil dieser Gruppe hat Verlust gemacht.

Urs Martin: 2024, das darf ich jetzt schon sagen, hat sie einen EBITDAR von 10 Prozent gemacht. Und sie hat ein Eigenkapital von 900 Mio. Franken. Zeigen Sie mir ein Unternehmen im Spitalbereich in diesem Land, das so erfolgreich ist.

Aber ist es dann nicht unsolidarisch, wenn Sie als erfolgreicher Kanton aussteigen und sagen: Wir sind besser als die anderen, die sollen selber schauen?

Urs Martin: Ich bin gewählt, um die Interessen der Thurgauer Bevölkerung zu vertreten, und nicht die der St. Galler, Bündner oder Glarner.

Patrick Hässig: Das ist doch genau der Kern der Problematik. Sie wollen wiedergewählt werden, da ist es nicht attraktiv, über Spitalplanung zu reden.

Urs Martin: Herr Hässig, Sie sind doch in der Grünliberalen Partei, in diesem Parteinamen steckt das Wort liberal. Es ist doch nicht liberal, eine nationale Monsterplanung zu wollen, wenn der Markt das regeln kann. Im Moment passiert ja gerade eine ökonomische Strukturbereinigung.

Patrick Hässig: Aber wir haben ja gar keinen Markt.

Urs Martin: Natürlich haben wir einen Markt! Wenn ein Spital keine Patienten mehr hat, fehlen die Erträge und ohne Erträge geht es ein.

Patrick Hässig: Ausser, man geht zum Kanton und holt Geld, was fast alle tun. Ich gratuliere Ihnen, dass es im Kanton Thurgau anders läuft.

Urs Martin: Ja, wir holen das Geld bei den Spitälern, nicht sie bei uns! Unsere Spitäler zahlen dem Kanton Steuern und Dividenden.

Der Thurgau ist eine löbliche Ausnahme, Herr Martin. Aber noch einmal: Ist es nicht etwas egoistisch, wenn jeder Kanton nur an sich denkt? So werden wir nie eine sinnvolle Spitalplanung haben.

Urs Martin: Ich habe einen Eid abgelegt, dass ich die Interessen des Kantons Thurgau vertrete. Und nur diese.

Patrick Hässig: Und währenddessen bezahlt die Bevölkerung in der ganzen Schweiz immer mehr Krankenkassenprämien. Die hohen Prämien sind im Sorgenbarometer das Thema Nummer eins.

Herr Hässig, akzeptieren Sie das Argument, dass die Kantone die Bedürfnisse der Menschen besser kennen als der Bund?

Patrick Hässig: Natürlich. Deshalb sage ich auch nicht, der Bund müsse die Planung machen. Er müsste die Kompetenz bekommen, bei der Planung mitzureden.

Wie sähe Ihr Modell denn konkret aus?

Patrick Hässig: Ich finde, wir sollten uns darüber Gedanken machen, ob es wirklich so viele 24-Stunden-Betriebe braucht in diesem Land. Das kostet viel Geld und braucht viel Personal. Wir könnten uns überlegen, einige dieser Betriebe in Gesundheitszentren für die Grundversorgung umzuwandeln und dafür in den Regionen eine schnelle Rettungsorganisation aufzubauen. Wir haben die beste Luftrettung der Welt, kaufen wir doch zehn Helikopter mehr und fliegen Notfallpatienten in spezialisierte und zentralisierte 24-Stunden-Top-Spitäler!

Urs Martin: Sie wohnen in der grössten Stadt der Schweiz. Wenn Sie in Sarnen oder im Appenzell wohnen würden und man Ihnen sagen würde, es gebe jetzt nur noch die fünf Universitätsspitäler und ein paar Helikopter und ein paar Permanencen – ich weiss nicht, ob die Bevölkerung sich noch gut versorgt fühlen würde.

Patrick Hässig: Es ist eine Frage, wie man es den Menschen erklärt. Wenn das Narrativ heisst: Leider habt ihr jetzt nichts mehr in eurer Nähe, ihr müsst in einen anderen Kanton, klingt das anders, als wenn man den Leuten sagt: Innerhalb von 20 Minuten Fahrt oder Flug haben wir ein qualitativ viel besseres Spital als das, das ihr bis jetzt mit einer Fahrt von acht Minuten erreicht. Ich bin überzeugt, die Leute würden das verstehen.

Herr Martin, es lässt sich nicht leugnen, dass ein kleines Regionalspital bei gewissen Behandlungen nicht auf die nötigen Mindestfallzahlen kommt.

Urs Martin: Es ist klar, Sie brauchen eine kritische Grösse. Aber es braucht auch eine ortsnahe Versorgung in allen Bereichen.

«Wir haben zu viele Spitäler, die alle auch die ganze Palette an Leistungen anbieten wollen.» Patrick Hässig

Eine Studie von Santésuisse aus dem Jahr 2022 zeigt, dass viele Spitäler in diesem Land in mehreren Bereichen die Mindestfallzahlen nicht erreichen und deshalb die Qualität leidet.

Urs Martin: Konsequent zu Ende gedacht, würde das bedeuten, dass man die 40 Herztransplantationen im Jahr zum Beispiel nur noch in Bern und nicht auch noch in Zürich und Lausanne machen würde.

Genau. Was würde dagegensprechen?

Urs Martin: Nichts. Ausser die Politik.

Mir scheint, wir kommen hier nicht weiter. Herr Hässig, als Politiker müssen Sie einen Plan B haben.

Patrick Hässig: Ich finde, dass wir unabhängig von meiner Motion über Versorgungsregionen nachdenken müssen, was ja auch bereits stattfindet. Man muss zusammenarbeiten. Die Frage ist nur: Welcher Kanton übernimmt die Führung? Herr Martin, Sie könnten in die Geschichte eingehen, wenn Sie als Gesundheitsdirektor des Kantons Thurgau sagen würden: Im Thurgau machen wir es gut, lassen wir es doch im ganzen Osten so machen wie bei uns.

Urs Martin: Solange die anderen, die schlecht unterwegs sind, sagen, alle sollen es so machen wie sie, können wir nur verlieren.

Sie finden, der kleine Thurgau hatte im Vergleich zum grossen St. Gallen bei den Verhandlungen in der Ostschweiz die schlechteren Karten?

Urs Martin: Ich habe die Communiqués zu den letzten sechs Jahresabschlüssen der St. Galler Spitäler angeschaut. Jedes Mal stand am Schluss des Communiqués, es sei ein Übergangsjahr, im nächsten Jahr werde das Defizit kleiner, und jedes Jahr wurde es grösser. Das ist die Realität. Ich glaube, irgendwann wird es nicht mehr möglich sein, alle diese Löcher mit Steuergeldern zu stopfen.

Der Thurgau scheint ein Musterkanton zu sein. Was könnten denn die anderen Kantone von Ihnen lernen?

Urs Martin: Der erste und wichtigste Ratschlag ist: Spitäler sind je besser geführt, desto weniger die Politik mitredet. Dort, wo die Politik mitredet, geht es nicht um die Qualität in den Spitälern, sondern um die Anzahl Solarzellen auf dem Dach oder um die Anzahl Parkplätze vor dem Haus. Dadurch, dass bei uns alles in einer AG ist, auch die Personalpolitik, hat der Regierungsrat rein gar nichts zu sagen. Wenn Sie hingegen in einem staatlichen Korsett sind und zum Beispiel bei der Pflege etwas verändern wollen, müssen Sie in der gleichen Lohnklasse auch bei den Polizisten und den Lehrern Anpassungen machen. Das macht Sie völlig unflexibel. Spitäler müssen in der Lage sein, unternehmerische Entscheide zu treffen, und das können sie nur, wenn sie unternehmerische Freiheiten haben.

Interview: Patrick Rohr; Fotos: Daniel Brühlmann

Warum machen es denn nicht längst alle so wie Sie?

Urs Martin: Ich weiss nicht, ob sie es einfach nicht verstehen oder ob Privatisierungen und AG-Gründungen halt einfach nicht mehr so en vogue sind, wie sie es Ende der 1990er-Jahre waren. Ich kann nur sagen, unser Konstrukt ist extrem gut, weil eine AG nicht einfach zum Kanton gehen und Geld verlangen kann, wenn es mal nicht läuft.

Patrick Hässig: Ich weiss nicht, wie es wäre, wenn ein Thurgauer Spital dann doch einmal in eine finanzielle Schieflage geraten würde, ob man dann nicht auch beim Kantonsrat anklopfen und um Geld fragen würde, wie das in anderen Kantonen geschieht, oder ob Regierungsrat Martin dann einfach ein Spital in seinem Kanton Konkurs gehen lassen würde?

Und dann nicht mehr gewählt wird

Urs Martin: Unsere Spitäler gehören zu den profitabelsten im Land und haben ein hohes Eigen­kapital. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sie im Wettbewerb bestehen werden. 

Patrick Hässig

ist gelernter Versicherungskaufmann und arbeitete als Radio- und Fernsehmoderator, bevor er sich 2017 im Zürcher Stadtspital Waid zum Pflegefachmann HF ausbilden liess. Heute arbeitet er in einem Teilzeitpensum im Kindernotfall im Zürcher Stadtspital Triemli. Seit Herbst 2023 sitzt er für die GLP des Kantons Zürich im Nationalrat.

Patrick Rohr

ist Journalist, Moderator, Fotograf und Kommunikationsberater mit eigener Firma in Zürich. Bis 2007 arbeitete er für das Schweizer Fernsehen, unter anderem als Redaktor und Moderator der Sendungen Schweiz aktuell, Arena und Quer.

Urs Martin

arbeitete unter anderem als Sekretär der Bundeshausfraktion im Generalsekretariat der SVP Schweiz in Bern, bevor er 2010 Leiter Public Affairs bei der Privatklinikgruppe Hirslanden in Zürich wurde. 2020 wurde er in die Thurgauer Regierung gewählt, wo er das Departement Finanzen und Soziales leitet, zu dem auch die Gesundheit gehört.

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