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Importierte Verzerrungen

Jean Pierre Uwitonze
Bei der Festlegung von Medikamentenpreisen setzt die Schweiz stark auf offizielle Preise aus dem Ausland. Und importiert so Ansätze, die nicht unseren gesundheitspolitischen Zielen entsprechen.

Jean Pierre Uwitonze, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am KPM der Universität Bern

17. Juni 2024

Die Schweiz hat im Vergleich zu ihren Nachbarländern zwar eine relativ junge Bevölkerung, dennoch gehört sie im OECD-Ranking der Gesundheitsaus­gaben pro Kopf in Prozent des BIP zur weltweiten Spitzengruppe. Einer der meistdiskutierten Kostenblöcke sind die Arzneimittelausgaben. Sie machen 10,6 Prozent der Gesundheitsausgaben bzw. jährlich 8,5 Milliarden Franken aus. Die Ausgaben könnten jedoch berechtigt sein, wenn sie den Erwartungen der Schweizer Bevölkerung entsprechen.

So ist die Vergütung in der Schweiz geregelt

Hochwertige, sichere und wirksame Arzneimittel werden auf Antrag der Hersteller durch Swissmedic geprüft und zugelassen. Allerdings führt eine Zulassung nicht automatisch zur Vergütung durch die obligatorische Krankenversicherung. Der Hersteller muss die Vergütung erst beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) beantragen. Dieses prüft die entsprechenden Unterlagen und von der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) erhält es eine Empfehlung. Das Verfahren endet mit einem Entscheid des BAG über die Aufnahme in die Spezialitätenliste (SL), die alle zu vergütenden Arzneimittel und deren Höchstpreise aufführt. Die wichtigsten Aufnahmekriterien sind Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (die WZW-Kriterien). Bei der Aufnahme in die Liste wird auf Grundlage von internationalen und therapeutischen Vergleichspreisen ein Höchstpreis festgelegt. Der festgelegte Höchstpreis hängt vom Auslandpreisvergleich (APV) und dem therapeutischen Quervergleich (TQV) ab. Für den APV zieht das BAG die in Deutschland, Dänemark, Grossbritannien, in den Niederlanden, in Frankreich, Österreich, Belgien, Finnland und Schweden geltenden Fabrikabgabepreise heran. Der TQV beruht auf den nationalen Fabrikabgabepreisen von Arzneimitteln mit vergleichbarem therapeutischem Nutzen. Die aus APV und TQV resultierenden Preise werden bei der Berechnung des in der SL genannten Höchstpreises gleich gewichtet.

«Der APV-/TQV-Ansatz entspricht nicht den Schweizer Prioritäten für das Gesundheitssystem.»

Jean Pierre Uwitonze

Eine internationale Perspektive

Preisvergleiche haben zwar Vorteile, aber viele andere Länder mit fortschrittlichen Gesundheitssystemen vertrauen bei neuen innovativen Arzneimitteln nicht mehr darauf, weil die Preissetzung weltweit wegen geheimer Rabattabsprachen unterschiedlichster Art immer undurchsichtiger wird. Dazu kommt, dass die Hersteller ihre Vermarktungsstrategien angepasst haben, um den Preisvergleich zu ihren Gunsten auszunutzen. Vor diesem Hintergrund haben Länder wie England und Deutschland eigene Methoden für die Bewertung von Arzneimitteln und die Preissetzung entwickelt. Damit spiegeln die festgelegten Preise die Priori­täten der nationalen Bevölkerung wider.

Seit 1999 wird im englischen National Health System (NHS) das Verhältnis von Kosten und Nutzen auf der Basis von Kosten-Wirksamkeits-Analysen als prioritär betrachtet. Ausser bei einigen speziellen Therapien, etwa bei seltenen Krankheiten, vergütet das NHS nur Behandlungen, die weniger als 20 000 bis 30 000 Pfund pro Lebensjahr bei optimaler Gesundheit (QALY) kosten. In Deutschland konzentriert sich das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 auf eine frühzeitige Bewertung des Zusatznutzens im Vergleich zu alternativen Therapien. Deutschlands Priorität liegt damit auf einem unverzüglichen, direkten Zugang zu neuen, innovativen Therapien. Folglich haben England und Deutschland ihre sozialen Prioritäten in ihre QALY- bzw. AMNOG-Verfahren integriert. Dies kommt später in den Ergebnissen bzw. in den vereinbarten oder festgelegten Preisen zum Ausdruck.

Jean Pierre Uwitonze

Bei der Festlegung des Höchstpreises in der Schweiz haben die gesundheitspolitischen Überlegungen anderer Länder viel Gewicht.

Fazit

Die Schweiz setzt bei der Entscheidung, welche Arzneimittel zu welchem Preis vergütet werden, keine eigenen Prioritäten. Vielmehr wird eine technokratische Methode mit APV und TQV an­gewendet. Dies führt dazu, dass die Vergütung nicht nutzenbasiert erfolgt. Die darin einfliessenden Preise spiegeln die Prioritäten der neun Vergleichsländer wider. Folglich importiert die Schweiz Prioritäten, die andere Länder gesetzt haben. Selbst der TQV schwächt diese Importwirkung kaum ab, denn die Preise der Vergleichsprodukte im TQV beruhen ursprünglich auch auf dem APV. Der Gesetzgeber und die Verwaltung haben zwar für die Berechnung der Höchstpreise ein transparentes, unkompliziertes Verfahren gewählt, das die Preissetzung für komplexe Produkte wie Arzneimittel vereinfacht. Doch bildet der APV-/TQV-Ansatz nicht die schweizspezifischen Prioritäten für das Gesundheitswesen ab, das sich durch guten Zugang zu innovativen und bezahlbaren Leistungen auszeichnen und die Erwartungen der Bevölkerung erfüllen sollte. 

Jean Pierre Uwitonze

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine (sitem-insel) und Doktorand am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. Er forscht zu gesundheitspolitischen Themen mit Schwerpunkt auf Ungleichheiten in Gesundheitssystemen.

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