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Deckt die Innovation den Bedarf?

Pharmaunternehmen legen ihre Forschungsprioritäten auf der Grundlage verschiedener Faktoren fest, darunter wissenschaftliche, medizinische, kommerzielle und regulatorische Überlegungen.

Dr. med. Peter Csutora, Senior Director Medical Affairs bei MSD Schweiz

15. Februar 2024

Der wichtigste Faktor beim Festlegen der Forschungsschwerpunkte ist der «unmet medical need». Um diese ungedeckten Bedürfnisse aus wissenschaftlicher Sicht erfolgreich zu decken, sollte ein gutes Verständnis der Krankheitsbiologie vorhanden sein, mit einem identifizierten molekularen Ziel, das durch den neuen Wirkstoffkandidaten beeinflusst werden kann. Auch sollten geeignete präklinische und klinische Modelle existieren, um die Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Therapie zu messen.

Die Entwicklung eines neuen Medikaments ist ein komplexer und ressourcenintensiver Prozess (die Entwicklung eines neuen Medikaments kann 12 bis 15 Jahre und 2,5 Milliarden US-Dollar in Anspruch nehmen). Aus kommerzieller Sicht ist ein ausreichendes Marktpotenzial und die wirtschaftliche Rentabilität für die neue Behandlung notwendig. Daher konzentrieren sich die Unternehmen vor allem auf Bereiche mit grossen Patientenpopulationen und Potenzial für Einnahmen, die sie in die Forschung und Entwicklung reinvestieren können. Eine Ausnahme bilden seltene Krankheiten, bei denen die Patientenpopulation klein, der ungedeckte Bedarf jedoch sehr hoch sein kann, was die Bedeutung der Forschung in diesen Bereichen erhöht.

Neben diesen Faktoren berücksichtigen Pharmaunternehmen beim Festlegen ihrer Forschungsprioritäten auch ihre langfristige Geschäftsstrategie, ihr wissenschaftliches und technologisches Know-how, ihre Produktionsmöglichkeiten sowie Kooperationen und Partnerschaften.

Die Herausforderungen

Pharmaunternehmen stehen vor mehreren He­rausforderungen, um dem Ziel «meet the unmet medical need» gerecht zu werden. Strenge behördliche Auflagen sind zwar unerlässlich, um die Patientensicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Die langwierigen und aufwendigen behördlichen Verfahren können die Entwicklung und Zulassung neuer Therapien aber auch behindern, insbesondere bei seltenen Krankheiten oder Erkrankungen mit begrenzten therapeutischen Optionen. Darüber hinaus können bestimmte Patientengruppen wie Kinder, Schwangere oder Patienten mit verschiedenen Begleiterkrankungen aus ethischen und sicherheitstechnischen Gründen von klinischen Studien ausgeschlossen werden. Das beschränkt die Verallgemeinerbarkeit der Studienergebnisse und die Verfügbarkeit der neuen Therapie für diese Patientinnen und Patienten. Schliesslich stellen die Kostenträger und Vergütungssysteme in vielen Ländern erhebliche Hindernisse dar, die sich auf die wirtschaftliche Rentabilität der potenziellen Arzneimittel auswirken, möglicherweise von Investitionen in bestimmten Therapiebereichen abhalten oder zu einem ungleichen Zugang der Patientinnen und Patienten in den verschiedenen Ländern führen.

Globale Unterschiede
Der Korrelationskoeffizient zwischen den Innovationsaktivitäten der 20 grössten Pharmafirmen der Welt und DALYs (disability-adjusted life years) nach Einkommen und Regionen. Je höher die Zahl, desto besser korreliert die Innovationstätigkeit mit den DALYs. Die Zahlen finden Sie im nachfolgenden PDF (Grafik mit Zahlen).
Quelle: Jung et al., Disease burden metrics and the innovations of leading pharmaceutical companies, 2020.

Diverse Lösungsansätze

Um die Herausforderungen zu bewältigen und den ungedeckten medizinischen Bedarf besser zu decken, gibt es verschiedene Massnahmen. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen den Zulassungsbehörden und der Industrie, um die Verfahren zu straffen und Innovation zu fördern, die patientenzentrierte klinische Entwicklung zu unterstützen und Wege für eine beschleunigte Zulassung von Therapien für den höchsten medizinischen Bedarf zu schaffen.

Regierungen und internationale Organisationen sollten mehr Anreize für die Forschung in Bereichen mit hohem Bedarf für die öffentliche Gesundheit bieten, beispielsweise für Antibiotika. Die Förderung einerseits der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Zulassungs­behörden zur Markteinführung innovativer Anti­biotika sowie andererseits von Antibiotic-Steward­ship-Programmen können die langfristigen Auswirkungen des Mangels an neuen Antibiotika mildern.

«Regierungen sollten Anreize für die Forschung in Bereichen mit hohem Bedarf an öffentlicher Gesundheit bieten.»

Peter Csutora

Internationale Organisationen und Pharma­unternehmen könnten verstärkt zusammenarbeiten, um Medikamente in Länder zu bringen, in denen sich das Gesundheitssystem die Preise für neue innovative Medikamente und Impfstoffe nicht leisten kann. So liessen sich die weltweiten Ungleichheiten besser bekämpfen. Es gibt viele Beispiele: Spenden, Compassionate-Use-Programme oder Lizenzvereinbarungen, um generische Kopien vor Ablauf des Patents auf den Markt zu bringen – um nur einige zu nennen.

Das Problem des ungedeckten medizinischen Bedarfs erfordert die Zusammenarbeit zwischen Zulassungsbehörden, Pharmaunternehmen, Gesundheitsdienstleistern und Patientengemeinschaften, um ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und rechtzeitigem Zugang zu innovativen Therapien zu finden.

Dr. med. Peter Csutora

ist Senior Director Medical Affairs bei MSD Schweiz. Davor verfolgte er eine erfolgreiche medizinische und akademische Forschungskarriere und leitete eine Arzneimittelforschungsabteilung bei einem internationalen Pharmaunternehmen.

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