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Schaden und Nutzen von Revolutionen

Politische Revolutionen legen eine klar negative Bilanz nahe. Eine wahrhaft hilflose Gesellschaft ist jedoch eine, die nicht einmal zu einer Revolution fähig ist.

Ekkart Zimmermann, em. Professor für Makrosoziologie der Technischen Universität Dresden

25. Oktober 2018

Zur Demonstration geht man, zur Revolution nicht: Politische Revolutionen sind das Ergebnis inflexibler gesellschaftlicher Strukturen und diese korrigierender Handlungsverläufe. Die Macht geht auf neue Eliten über, die Struktur der Herrschaft ändert sich. Revolutionen sind Ergebnis und Folge von grossen Krisen und revolutionären Situationen, folgen aber nicht immer auf diese. Die Herrscher können die Umstürzler unterdrücken (Iran 2009), gewinnen einen Bürgerkrieg (Syrien) oder unterliegen in einer Revolution (Russland 1917–1921, China 1945–1949). Kriege und Bürgerkriege können Revolutionen vorausgehen oder ihnen folgen. Entscheidend ist, dass ungeplante Entwicklungen zur Entstehung von Revolutionen gehören.

Für Huntington sind Revolutionen der Versuch, eine Gesellschaft mit rückständigen Institutionen auf den Stand der Vorreiter zu bringen. Die erste grosse Revolution der Neuzeit, die Englische Revolution von 1640–1649/1660 und 1688–1689, eiferte keinem fremden Land nach, die Französische von 1789 der Englischen, die beiden nichtbürgerlichen Revolutionen in China und Russland der Französischen mit ihrem Konzept der Berufsrevolutionäre.

«Für Huntington sind Revolutionen der Versuch, eine Gesellschaft mit rückständigen Institutionen auf den Stand der Vorreiter zu bringen.»

Ekkart Zimmermann

Das Schicksal gescheiterter Revolutionäre von Robespierre bis Trotzki und das wirtschaftliche Elend im Gefolge von Revolutionen legen eine klar negative Bilanz nahe (nur die Mitglieder der Nomenklatura gewinnen). Nur die Englische Revolution fällt anders aus: Schutz der Freiheitsrechte, Gewaltenteilung und religiöse Toleranz. Frankreich fällt zurück gegenüber England und Preussen im 19. Jahrhundert. Die Proklamation der Menschenrechte, beeinflusst von englischen und amerikanischen Vorläufern, bleibt ein dauerhaftes Gut, wohl auch die Trennung von Kirche und Staat 1905. In der Sowjetunion sind durch Hungersnöte, Staatspogrome und -terror ca. 20 Millionen Opfer zu beklagen, in Maos China ca. 30–50 Millionen. Dem steht der wirtschaftliche Aufstieg von ca. 500 Millionen Chinesen nach den marktwirtschaftlichen Reformen unter Deng seit 1978 entgegen. Einzig in der in Teilen doktrinären Schulbildung und der medizinischen Versorgung der Bevölkerung können alle kommunistischen Revolutionen Beachtliches vorweisen.

Die heutige Revolution ereignet sich durch technischen Fortschritt mit unendlicher Kombinierbarkeit von Prozessen des Wissens und Materials täglich überall in der Welt und verlangt nach Anpassung der Institutionen. Dies ist eine Quelle der «schöpferischen Zerstörung», die weit über Schumpeters Unternehmer hinausgeht.

Gleichwohl gilt der Satz von Huntington, dass die wahrhaft hilflose Gesellschaft eine ist, die nicht einmal zu einer Revolution fähig ist. Nordkorea wird das nächste Beispiel liefern, wie schwer eine Reform von oben gegen Beharrer und Revolutionäre zugleich ist. Die Sowjetunion ist daran gescheitert.

Ekkart Zimmermann

Ekkart Zimmermann ist em. Professor für Makrosoziologie der Technischen Universität Dresden. Er hat breit in der Konfliktforschung publiziert über Modernisierung und Entwicklung, Systemwandel, Globalisierung und Terrorismus, soziale Ungleichheit, Rechtsextremismus, Methodenfragen und andere Themen aus der Grundlagenforschung.

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