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Bitte etwas freundlicher!

Beda M. Stadler, ist emeritierter Professor und war Direktor des Instituts für Immunologie an der Universitat Bern.

18. Februar 2020

Ich wurde kürzlich notfallmässig eingeliefert. Keine Sorge, es geht mir wieder ziemlich gut. Während der Blutabnahme und der ersten Untersuchungen musste ich völlig belämmert einen langen Fragebogen ausfüllen. Dabei habe ich alle Datenschützer und Politiker verflucht, die schuld sind, dass wir noch immer kein elektronisches Patientendossier haben. Bei einer weiteren Ultraschalluntersuchung hat eine Ärztin erstaunt festgestellt, dass mir die Gallenblase fehlt, weil ich in meinem Dusel dies nicht angegeben und wahrscheinlich sonst noch vieles vergessen hatte.

Die Ärztin hat dann auch noch besorgt festgestellt, dass ich eine Fettleber habe, was für mich aufgrund meiner Kochkünste nicht erstaunlich war, aber zusätzlich so formuliert wurde: «Sie sind zu dick.» Auch wenn ich diesen Satz fast täglich von meiner Frau höre, war das kein freundlicher Gesundheitstipp. Ich würde daher gerne die Nutzung meiner medizinischen Daten der Krankenkasse übergeben. Jedes Mal, wenn ich mich in das eigene Dossier einlogge, könnte ein vorhandenes Expert-System mir ein paar Ratschläge aufgrund der existierenden Daten geben. Habe ich mich verfahren, sind schliesslich die Kommentare des Navis leichter zu ertragen als die spitzen Bemerkungen einer Beifahrerin. Genauso erhoffe ich mir, dass unser Gesundheitssystem etwas freundlicher wird.

«Auch wenn ich ein gläserner Patient bin, bleibt meine Prämie ein Solidaritätsbeitrag.»

Beda M. Stadler

Meine Krankenkasse würde dadurch mein Freund und Helfer, der mich nicht beleidigt, sondern mir sachlich und freundlich mitteilt: «Bitte weniger essen.» Falls das Expert-System die Daten gescheit analysiert, könnte es sogar sein, dass ich etwas mitgeteilt kriege, was ich bis anhin noch nicht wusste. Nicht nur der Notfalldienst, sondern auch der Hausarzt wäre dankbar, wenn ein digitales System das Wichtigste kurz zusammenfasst und zugleich einen Rückblick ermöglicht – soweit die Daten dies erlauben.

Da meine Krankenkasse nun sogar mein Freund ist, darf sie die Daten auch für eigene Zwecke benutzen, etwa um Kosten zu sparen oder um Tarife anzupassen. Für Forschungszwecke sollten die Daten zudem von allen Krankenkassen in gleicher Art und Weise zur Verfügung gestellt werden. Einen Freund haut man allerdings nicht übers Ohr. Auch wenn ich jetzt ein gläserner Patient bin, bleibt meine Prämie ein Solidaritätsbeitrag und unabhängig von dem, was mein Freund über mich weiss.

Beda M. Stadler

geboren 1950 in Visp (VS), ist emeritierter Professor und war Direktor des Instituts für Immunologie an der Universität Bern. Er ist bekannt für seine bissigen Aussagen zu medizinischen sowie gesundheits- und gesellschaftspolitischen Themen.

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