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Es ist einfach «üsers Spitoul»

Martina Krieg hat sich 2011 als Bürgerin für den Erhalt des Spitals Einsiedeln eingesetzt. Sie erklärt uns ihre Beweggründe, Erfahrungen und Überlegungen zur Spitalversorgung in der Schweiz.

Martina Krieg, hat sich 2011 für den Erhalt des Spitals Einsiedeln eingesetzt.

18. Juni 2018

Als vor sieben Jahren der Regierungsrat des Kantons Schwyz die Schliessung des Spitals Einsiedeln empfahl, fielen wir Bewohner von Einsiedeln aus allen Wolken. Das Spital gehört zu Einsiedeln, so wie die Schafböcke – ein traditionelles Gebäck aus süssem Honigteig, das ursprünglich für Pilger und Wallfahrer war, die nach Einsiedeln reisten. Das Spital mit 71 Betten (inkl. Säuglingen)1 ist eine wichtige Infrastruktur unseres Dorfs, eine Schliessung hätte massive Auswirkungen mit sich gezogen.

Verluste

Auf der einen Seite hätte die Schliessung uns als Familie direkt betroffen. Wir müssten in weiter entfernte Spitäler* reisen, in denen sich die Betreuung weniger «persönlich» anfühlen würde. Da wir den direkten Vergleich mit einem grossen Spital gemacht haben, schätzen wir unser kleines Spital. Wir warteten vier Stunden mit einem schreienden, hungrigen Kleinkind mit einer klaffenden Platzwunde an der Stirn im Notfall auf einen Arzt – wir kamen uns vor wie eine unwichtige Nummer und fühlten uns völlig ausgeliefert.

Auf der anderen Seite betrifft eine Schliessung auch die ganze Bevölkerung von Einsiedeln. Durch die vielen Grossanlässe im Sport- und Kulturbereich und die Nähe zum Skigebiet Hoch-Ybrig braucht es eine funktionierende Notaufnahme in der Nähe. Nicht zuletzt hätte das Dorf einen der grössten Arbeitgeber – Ende 2016 waren 337 Personen im Spital beschäftigt1 – verloren, und das Gewerbe hätte bestimmt schmerzliche Einbussen hinnehmen müssen, da es Zulieferer für Güter des Alltags ist oder Handwerksarbeiten erledigt.

Unfälle und andere Geschichten

Als 2011 die Diskussionen um eine Schliessung aufkamen, waren viele Einsiedler Hausärzte nahe dem Pensionsalter. Das hat uns Spitalbefürwortern sicher in die Hände gespielt. Heute hat sich die Situation etwas verbessert. Wir als Familie brauchen den Hausarzt jedoch selten und sind dankbar, dass wir so gesund sind. Aber gerade bei Unfällen und Notfällen mit den Kindern ist es schön, das Spital so nah zu wissen. Bei solchen Ereignissen geht man als Mutter durch einen Schwall an Emotionen. Das war beispielsweise der Fall, als sich unser Sohn mit der Axt den Zeigefinger abhackte. Innerhalb einer Stunde war der Finger wieder angenäht, und es kam alles gut. Hier waren wir dankbar für eine perfekt funktionierende Notfallaufnahme in der Nähe, mit Mitarbeitenden, die einen äusserst sensiblen und verständnisvollen Umgang pflegen.

Engagement für das Spital

Das Spital Einsiedeln ist einfach «üsers Spitoul». Als es um die Schliessung ging, standen die Einsiedler – so verschieden sie auch sind – zusammen und kämpften solidarisch für den Erhalt des Spitals. Ich habe mich insbesondere über die sozialen Medien und im persönlichen Umfeld dazu geäussert, einen Beitrag für das Initiativkomitee einbezahlt und mich so für den Erhalt engagiert. Im Vordergrund der Diskussionen vor sieben Jahren standen nicht die Kosten, sondern der Erhalt des Spitals für die Region. Aus meiner Sicht ist das eine Frage der Identitätsstiftung. Als Prämienzahlerin wäre ich sogar bereit gewesen, mehr zu bezahlen, damit unser Spital bestehen bleibt.

Grundversorgung

In der Tagespresse konnte man im letzten Jahr viel über Fallzahlen und die damit zusammenhängende Qualität lesen; ich kenne die Diskussionen zum Thema nicht detailliert. Aus wirtschaftlichen Gründen und Überlegungen der Spezialisierung kann ich jedoch nachvollziehen, dass das Thema diskutiert wird. Mit der Routine steigt sicher grundsätzlich die Qualität, aber kann zu viel Routine unter Umständen nicht auch zu einer verminderten Aufmerksamkeit führen? Hier verlasse ich mich auf die Professionalität der Ärzte und hoffe auf ihr Berufsethos, so dass sie nur dann operieren, wenn sie über eine hohe Kompetenz verfügen. Zudem bin ich der Meinung, dass sich ein Regionalspital auf gewisse Kompetenzfelder beschränken soll. Die Spezialdisziplinen könnten sie sich aufteilen, was innerkantonale oder gar interkantonale Absprachen bedingt. Am wenigsten dienlich ist, wenn Spitäler untereinander missgünstig sind.

Rolle der Politik

Wir haben in Einsiedeln unsere Spitalpolitik als Bürger mitgeprägt. Was wir als Bürger gemacht haben, erwarte ich auch von unseren Politikern. Wir wollen Regionalspitäler mit einer professionellen Grundversorgung, während die Spezialfelder – auch aus Gründen der schnellen und kostenintensiven Entwicklung – aufgeteilt werden müssen. Politiker müssen vorausdenken und vor allem über ihren eigenen Kanton hinaus vorausschauende Gespräche und Verhandlungen führen. Gewisse Politiker tendieren dazu, immer in die Richtung zu sprechen, aus der sie sich am meisten Zuspruch erhoffen. Das zeugt von Unwissenheit oder einem volatilen politischen Profil. Die verschiedenen Bedürfnisse aller Beteiligten, wirtschaftliche Interessen und weitere Themen gegeneinander abzuwägen, verlangen auch Kompromisse. Die Arbeit der Politiker ist nicht immer einfach, deshalb braucht es ausgereifte Persönlichkeiten mit überzeugender Führungsstärke. Generell würde ich sagen, ein bisschen weniger Föderalismus täte der Schweiz manchmal gut. Gefordert ist eine überregionale Zusammenarbeit statt Kantönligeist.

* Anmerkung der Redaktion: Von Einsiedeln nach Lachen sind es 23 Autominuten oder nach Schwyz 36 Autominuten – an beiden Orten gibt es ein Spital.

1 Informationen aus dem Geschäftsbericht des Spitals Einsiedeln

Martina Krieg

Martina Krieg lebt mit ihrer Familie in Einsiedeln. Beruflich engagiert sie sich im Bereich Schulentwicklung im Kanton Zug. Sie hat sich 2011 persönlich für den Erhalt des Spitals Einsiedeln eingesetzt.

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