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Spitalfinanzierung: Wurden die politischen Ziele erreicht?

2012 wurde die neue Spitalfinanzierung eingeführt. Sie sollte den Wettbewerb unter den Spitälern stärken und so zu einer Konsolidierung im Spitalmarkt führen. Was ist seither passiert?

Ole Wiesinger, ehemaliger CEO der Privatklinikgruppe Hirslanden

18. Juni 2018

Erinnern wir uns: Die Idee hinter der 2012 neu eingeführten Spitalfinanzierung war einfach, aber wegweisend. Die Kantone finanzieren nicht mehr einzelne Spitäler (Objektfinanzierung), sondern übernehmen einen Teil der Behandlungskosten der Patientinnen und Patienten (Subjektfinanzierung). In Verbindung mit einer schweizweit freien Spitalwahl würden die Patienten ab diesem Zeitpunkt darüber entscheiden, welchen Spitälern sie ihr Vertrauen schenken und damit eine Zukunft geben – und welchen eben nicht. Soweit die Theorie. Seit sechs Jahren ist die Neuordnung des KVG inzwischen wirksam – in dem Zuge wurden neben den DRGs (diagnosebezogene Fallgruppen) auch Finanzierungsschlüssel eingeführt, und die Objektfinanzierung wurde eben zugunsten der Subjektfinanzierung abgeschafft. Kurzum: Die Rahmenbedingungen wurden wesentlich verändert.

Die politisch verfolgten Ziele wurden jedoch nur teilweise erreicht. Zwar hat die Transparenz hinsichtlich der Behandlungskosten in Spitälern durch die Einführung von DRGs zugenommen – hinsichtlich der Transparenz der Behandlungsqualität gibt es allerdings noch viel Potenzial.

Viele Kantone kämpfen mehr denn je mit Konflikten infolge ihrer Mehrfachrollen. Insbesondere mit der Doppelrolle als Regulator und Spitaleigner sind einige von ihnen überfordert und fürchten den Wettbewerb mit privaten Listenspitälern. Die Bevorteilung der kantonseigenen Spitäler ist nichts anderes als die aktive Behinderung bzw. die Aushebelung des ausdrücklich vom KVG geforderten Wettbewerbs.

Eine unlängst veröffentlichte Studie der Universität Basel hat die fortwährenden kantonalen Subventionen offengelegt. Der Kanton Genf etwa unterstützt seine Spitäler nach wie vor mit Zuschüssen von mehr als 500 Millionen Franken (ca. 1080 Franken pro Einwohner). Am anderen Ende dieser Skala befindet sich der Kanton Thurgau: Hier belaufen sich die entsprechenden Subventionen auf 18,6 Millionen Franken – das ist mit 70 Franken pro Einwohner 14-mal weniger. Hinzu kommt, dass viele Spitäler vor 2012 von der öffentlichen Hand noch massiv Subventionen in Form von Investitionen für neue Infrastrukturvorhaben erhalten haben, um sich für den gefürchteten Wettbewerb fit zu machen.

Gesamtsubventionen in den verschiedenen Kantonen 2015

KantonAbsolute ZahlenPro Fall
AG82 245 785923.7
AI2 644 9132 775.4
AR4 277 871297.9
BE254 452 8251 420.8
BL43 407 4031 284.0
BS190 444 3992 987.5
FR79 796 4202 875.1
GE524 891 4457 652.5
GL802 6291 683.5
GR57 579 0271 729.0
JU25 849 7313 619.4
LU53 941 837993.4
NE80 840 8354 160.8
NW5 678 7281 054.3
OW9 656 2702 655.0
SG99 864 2131 253.2
SH21 829 1922 142.8
SO67 418 8552 160.0
SZ17 472 8801 097.4
TG18 654 292606.6
TI48 035 691789.8
UR5 826 8281 464.4
VD553 317 6534 983.3
VS39 657 9761 116.9
ZG8 537 901581.0
ZH282 339 4341 196.1
Gesamt CH2 586 689 3342 094.2

Für einzelne Akteure ist der Wettbewerb offensichtlich schon zu stark ausgeprägt, obwohl er doch erst gemächlich spielt. Die Spitäler des Kantons Freiburg beispielsweise erwirtschaften trotz Subventionen einen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe, wie unlängst in den Medien berichtet wurde. Die angekündigten oder bereits real existierenden ambulanten Listen in vielen Kantonen dürften diesen Trend akzentuieren, umso mehr, als der Bundesrat den ambulanten Tarif innert drei Jahren zweimal nach unten korrigiert hat. In den nächsten Jahren wird sich die wirtschaftliche Situation vieler Spitäler vor diesem Hintergrund noch weiter verschärfen.

Eine Strukturbereinigung ist unausweichlich und in den meisten Fällen auch angebracht. Allerdings sollte nicht die Politik über mögliche Spitalschliessungen – oder rettungen! – entscheiden, sondern konsequent die Patienten. Die Kleinräumigkeit der Spitalplanung in der Schweiz macht diese Situation nicht besser. Vor fast sieben Jahren habe ich in einem Interview im Vorfeld der neuen Spitalfinanzierung gesagt, dass der Föderalismus im Gesundheitswesen teilweise mehr als hinderlich wirkt. An dieser Aussage hat sich leider seitdem grundlegend nicht viel verändert.

Ole Wiesinger

Dr. med. Ole Wiesinger war von 2008 bis 2018 CEO der Privatklinikgruppe Hirslanden. Zuvor war er Direktor der Klinik Hirslanden in Zürich und als Oberarzt, COO und CEO in medizinischen Institutionen in Deutschland tätig.

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