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Wie verteilen wir Ressourcen im Gesundheitswesen fair?

Es gibt Situationen, in denen medizinische Leistungen knapp sind und der Zugang zu Prävention, Diagnose oder Behandlung nicht immer garantiert ist. Wie verteilen wir diese Ressourcen fair? Eine Studie der ETH Zürich zeigt, wie Laien und Ärzte das beurteilen.

Pius Krütli, Co-Direktor des Transdisciplinarity Lab (TdLab)

23. Mai 2018

Knappe medizinische Ressourcen zeigen sich heute exemplarisch beim Mangel an Spenderorganen. Ein anderes Beispiel leitet sich aus der Kostendiskussion im Gesundheitswesen ab. Wem sollen Leistungen wie Gelenkersatz (eine Lebensqualität fördernde, jedoch nicht lebensnotwendige Massnahme) zugeteilt werden, wenn die Mittel nicht mehr für alle Nachfrager ausreichen?

Es braucht Regeln, um die knappen Leistungen möglichst fair zu verteilen. Diese sollten ethischen Standards entsprechen, einen medizinischen Nutzen erzeugen, praktikabel und von den Mitgliedern einer Gesellschaft akzeptiert sein.

Verteilungsprinzipien

Es gibt eine Reihe solcher Verteilungsprinzipien wie «Zufall», «Kränkste zuerst», «Jüngere vor Älteren », «Warteliste», «Prognose» usw. Nicht alle diese Prinzipien werden als ethisch vertretbar beurteilt, und je nach Situation eignen sie sich besser oder weniger gut für die faire Zuordnung von knappen medizinischen Leistungen. So werden beispielsweise Prinzipien wie die «Kränksten zuerst» oder «first come, first served» (Warteliste) von einigen anerkannten Medizinethikern abgelehnt. Sie argumentieren, dass dabei die Prognose bzw. der Krankheitsverlauf nicht beurteilt wird oder dass Wartelisten anfällig auf Missbrauch sind.

Dies steht in Kontrast zur Beurteilung solcher Prinzipien durch medizinische Laien und teilweise auch Ärzte. In einer aktuellen Onlinestudie beurteilten u.a. Allgemeinmediziner und medizinische Laien die Fairness von neun Verteilungsprinzipien in drei unterschiedlichen Situationen medizinischer Knappheit. Die Abbildung zeigt hier «Lebensqualität verbessernde medizinische Leistungen». Beide – Ärzte und Laien – finden es sehr fair, wenn die Kränksten diese Leistung zuerst erhalten, wenn es nicht für alle reicht. Die «Warteliste» schliesst in dieser Hinsicht bei Laien am zweitbesten ab, wogegen dieses Prinzip bei Ärzten eher umstritten ist. Bei den übrigen Prinzipien sieht das Muster bei beiden Gruppen ähnlich aus. «Verhalten» als Massgabe für die Verteilung knapper Leistungen scheint in beiden Gruppen umstritten. Das gilt auch für das Prinzip «Jüngere vor Älteren». «Kostenbeitrag» (diejenigen bevorzugen, die mehr an die Kosten zahlen), «gesellschaftliche Leistung in der Vergangenheit» und auch «Zufall» schneiden punkto Fairness bei beiden Gruppen nicht gut ab.

Was lernen wir daraus?

Erstens, für die unterschiedlichen Situationen, bei denen medizinische Knappheit auftauchen kann, braucht es Regeln, wie medizinische Leistungen fair verteilt werden sollten. Für die Zuteilung von Spenderorganen haben viele Länder Regularien aufgestellt. Wie medizinische Leistungen bei knapper werdenden Mitteln verteilt werden, dazu gibt es kaum Untersuchungen – und vielleicht auch noch zu wenig Diskussionen. Zweitens gibt es viele verschiedene Prinzipien, wie solche Leistungen fair verteilt werden können. Da alle Prinzipien ihre Vor- und Nachteile haben, sind Spezifizierungen nötig. Und drittens, was Ethiker als fair beurteilen, muss nicht zwingend auch dem entsprechen, was in der Realität als fair beurteilt wird. Deshalb braucht es eine Ausbalancierung der unterschiedlichen Perspektiven.

Pius Krütli

Dr. Pius Krütli ist Co-Direktor des Transdisciplinarity Lab (TdLab), einer Gruppe am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich, die sich mit der Schnittstelle Wissenschaft/Gesellschaft beschäftigt.

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