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Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen

Die Digitalisierung des Gesundheits­wesens krankt an vielen Stellen. Die Schweizer Eigenheit und das fehlende digitale Verständnis sind wichtige Faktoren.

Anna Hitz, Präsidentin der IG eHealth und Co-Präsidentin der «Allianz digitale Transformation im Gesundheitswesen»

17. Februar 2022

Mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen wird eine Qualitätsverbesserung und gleichzeitig eine Kostenreduktion angestrebt. Mit diesen Zielen vor Augen soll die mehrfache, dezentrale Datenerfassung abgelöst werden und der Austausch von Patientendaten zukünftig digital erfolgen. Einmal erfasst, stehen digitale Daten allen berechtigten Gesundheitsfachpersonen jederzeit zur Verfügung. Damit werden schnellere und auch zielgerichtetere Entscheidungen möglich, was die Patientenbehandlung und -sicherheit markant verbessert.

Die Schweiz im internationalen Vergleich

Im internationalen Vergleich ist die Schweiz bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen nach wie vor auf den hinteren Rängen zu finden. Trotz vieler Bestrebungen konnte dieser Rückstand in den letzten Jahren nicht wettgemacht werden. Faxübermittlungen, viel Papier und Doppelerfassungen gehören weiterhin zum Alltag im Gesundheitswesen, weil eine zentrale Plattform für das Speichern und Teilen von Daten fehlt. Im Gegensatz zum Ausland bestand und besteht in der Schweiz offensichtlich weniger Veränderungsdruck. Das System funktioniert und das Geld ist vorhanden.

Die Schweizer Eigenheiten

Die Autoren der Studie #SmartHealthSystems sehen den Dreiklang aus effektiver Strategie, politischer Führung und koordinierenden nationalen Institutionen als Erfolgsfaktor für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Nebst der fehlenden Notwendigkeit zur Veränderung stellt der Schweizer Föderalismus eine der grössten Herausforderungen dar. In der Schweiz findet die Gesundheitspolitik auf mehreren Ebenen, namentlich bei Bund und Kantonen, statt. Die Kantone stehen in der Verantwortung bei der operativen Gesundheitsversorgung, während der Bund Aufgaben im Bereich der Finanzierung und Koordination wahrnimmt. Für die Koordination im Bereich eHealth haben Bund und Kantone das Kompetenz- und Koordinierungszentrum eHealth Suisse gegründet, mit dem Ziel, eine nationale digitale Vernetzung zu realisieren. Dennoch sind 26 Kantone zuständig, wenn eine nationale Lösung umgesetzt werden soll.

Wegen der besonderen Strukturen der Schweiz können weder Modelle noch funktionierende Lösungen einfach aus dem Ausland importiert werden. Die vielen Akteure und die teils unterschiedlichen Interessen verlangsamen die Gesetzgebungsprozesse und lassen die Digitalisierung nur schleppend vorankommen. Immerhin ist in einzelnen Gesundheitsorganisationen der Schweiz die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten. Viel Nachholbedarf gibt es allerdings in der externen Vernetzung mit anderen Gesundheitseinrichtungen und Beteiligten.

Mehr digitale Kompetenz

Ein entscheidender Faktor ist die noch fehlende Kompetenz in der Bevölkerung. Eine Studie des BAG zeigt, dass es für rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung schwierig ist, Gesundheitsinformationen richtig zu beurteilen. Dazu kommt, dass 72% der Befragten häufig Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Informationen und Dienstleistungen haben. Deswegen sind vielen Menschen die digitalen Dienstleistungsangebote nicht bekannt und werden nicht in Anspruch genommen.

Patient, Hausarzt, Apotheker, Spital und weitere Gesundheitseinrichtungen müssen aber bereit und fähig sein, zusammenzuarbeiten und ihre Daten auszutauschen. Die technische Realisierung einer Plattform ist nicht die grosse Herausforderung, sondern es ist die Mit- und Zusammenarbeit aller relevanten Stellen. Und wichtig ist, dass der im Zentrum stehende Patient befähigt werden muss, die digitalen Dienstleistungen zu verstehen und richtig zu nutzen.

Ein Projekt für die notwendige Basisinfrastruktur

Mit dem elektronischen Patientendossier (EPD) wurde eine Infrastruktur für das zentrale Speichern von persönlichen Dokumenten mit Informationen über die eigene Gesundheit geschaffen. Doch die Einführung gestaltet sich schwierig. Das komplexe Zusammenspiel rechtlicher, organisatorischer und technischer Rahmenbedingungen, dezentrale Strukturen sowie ein umständlicher Prozess zur Eröffnung eines EPDs verhindern eine zügige Einführung und Verbreitung in der Schweiz.

Aufgrund der aktuellen Ausgestaltung als Dokumentenspeicher fehlen Anreize und der notwendige Support für das EPD. Nur stationäre Leistungserbringer sind verpflichtet sich anzuschliessen und damit ist die erwünschte Vollständigkeit und der Datenaustausch zwischen allen Akteuren nicht gegeben. Es gibt noch viel zu tun, damit das EPD sich als die zentrale Plattform für die Speicherung und den Austausch von Gesundheitsdaten etablieren und sein Potenzial entfalten kann.

Der Weg zum Ziel

Die Schweiz sollte sich die gute Ausgangslage zunutze machen. Sie ist nicht nur ein interessanter Standort für Forschung und Entwicklung. Auch die weite Verbreitung von Technologie wie Smart­phones oder 3G/4G-Netz bietet die bestmögliche Grundlage für die Entwicklung und Realisierung von digitalen Lösungen.

Damit wir die Herausforderungen unseres politischen Systems anpacken können, ist eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Akteuren erforderlich. Zu diesem Zweck haben sich 27 Gesundheitsverbände 2021 zur «Allianz digitale Transformation im Gesundheitswesen» zusammengeschlossen. Ziel der Allianz ist es, die Prioritäten und den Handlungsbedarf bei der digitalen Transformation gemeinsam festzulegen, Lösungsvorschläge sowie Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. In der Allianz sind Industrieverbände genauso vertreten wie Verbände der unterschiedlichen Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Nicht immer sind sich die Akteure einig und doch sehen alle das Potenzial und die Chancen der Digitalisierung. Gemeinsam möchte man den Prozess beschleunigen und dafür mit möglichst geeinten Positionen gegenüber der Politik auftreten. Damit sollen die politischen Vorgänge beschleunigt und bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Entscheidend wird schlussendlich sein, ob in der Bevölkerung genügend Kompetenz und insbesondere Vertrauen in digitale Instrumente und Dienstleistungen aufgebaut werden kann.

Quellen

BAG, Health Literacy Survey Schweiz 2019–21.

Bertelsmann Stiftung: #SmartHealthSystems

Anna Hitz

ist Partnerin Health bei der IT-Beratungsfirma Indema AG in Zürich. Sie ist seit April 2020 Präsidentin der Interessengemeinschaft eHealth und Mitbegründerin und Co-Präsidentin der «Allianz digitale Transformation im Gesundheitswesen».

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